Der Biss des Pinschers
Bumsfidele Schlüsselloch-Prosa: Die indiskreten "Erhörten Gebete" waren das Ende des gefeierten und gehätschelten Schriftstellers Truman Capote
Es war die allerlängste Schreibhemmung in der Geschichte der amerikanischen Literatur, nimmt man mal das Schweigen J.D. Salingersaus. Kaum war „Kaltblütig“ 1966 erschienen, setzte Random House einen Vertrag für „Erhörte Gebete“ auf (jetzt neu übersetzt bei Kein und Aber) das Buch, das Capote bereits 1958 skizziert hatte, sollte im Jahr 1969 erscheinen. Die Frist wurde hernach mehrmals großzügig verlängert, das vereinbarte Honorar bei Lieferung stieg stetig bis auf eine Million Dollar im Jahr 1981, ein Jahr vor dem Tod Truman Capotes. Doch dem Autor wollte sein „Auf Suche nach der verlorenen Zeit“ nicht gelingen. Nach dem Abdruck der Erzählung „La Cote Basque“, 1975 in „Esquire“, fabulierte er noch immer von den geplanten Kapiteln, behauptete auch immer wieder, mindestens zwei davon seien bereits geschrieben – doch auch im Nachlass waren sie nicht zu finden. „Pater Flanagans koschere Nigger-Schwulen-Pinte“ sollte ein Kapitel von „Erhörte Gebete“ heißen, und wahrscheinlich ist es besser, dass es ungeschrieben blieb.
Die drei schmalen Erzählungen, die Capote fertigstellte und die 1987 erstmals veröffentlicht wurden, sind degoutanter, boshafter Klatsch, vulgäre Anekdoten und schamloses Namedropping. Das beabsichtigte Sittengemälde der Schönen und Reichen seiner Zeit missriet Capote zur schmierigen Nabelschau und Indiskretion. Sein wenig schmeichelhaftes Alter Ego P.B. Jones, ein dilettierender Schriftsteller und alternder Callboy, blickt in einem Zimmer des YMCA in New York auf seine Abenteuer in Europa und Amerika zurück. Als Beglücker reicher alter Damen und versoffener Großdramatiker referiert er in „Unverdorbene Ungeheuer“ und „Kate McCloud“ jedes unappetitliche sexuelle Detail, ehe er in „La Cote Basque“ zum großen Schlag gegen alte Feinde und Freunde ausholt – oft genug dieselben Gönner und Bewunderer, die ihn bisher ausgehalten (und sich von ihm unterhalten lassen) hatten.
„La Cote Basque“ ist ein Luxus-Restaurant in Manhattan, an dessen zugigen vorderen Tischen die prominente Gesellschaft platziert wird – nach Gusto des Wirts M. Soule, der den Hollywood-Mogul Harry Cohn in die hinteren Räumlichkeiten verbannte, obwohl dem Chef des Columbia-Studios das Gebäude gehörte (woraufhin Cohn die Miete erhöhte und Soule mit dem Lokal umzog). In dem Restaurant ist Lady Coolbirth mit dem Erzähler verabredet, nachdem sie von Prinzessin Margaret versetzt wurde, und verbreitet sich über einem Eier-Souffle Fürstenberg nebst einigen der kaum chiffrierten Klatschtanten an den anderen Tischen – über die Kennedy-Schwestern, Gloria Vanderbilt, den Regisseur Joshua Logan (der hatte Capote Ende der 50er Jahre den Zugang zum Set von „Sayonara“ verweigert, wo der Schriftsteller die Arbeit von Marion Brando beobachten wollte) – und den jungen J.D. Salinger, der an die schöne Oona flammende Briefe schrieb, bevor die Mrs. Chaplin wurde: „…das ist bestimmt ein Junge, der sehr leicht weint.“
So stumpf und hölzern dergleichen anmutet, so explosiv war das Gewölle in Truman Capotes Kreisen. Während die Lektüre heute ohne Anleitung vollkommen witzlos ist, brauchte es für die Akteure (die nicht mit ihrem Namen genannt wurden) nicht lange, um sich empört in den Gestalten zu erkennen. Auch Sinn Keith – die elegante ehemalige Ehefrau des Regisseurs Howard Hawks und des Hollywood-Agenten Leland Hayward -, die als Lady Coolbirth auftritt, war nicht amüsiert und sprach nie mehr mit Capote: „Es ist geschmacklos.“ Zehn Jahre nach dem triumphalen „Ball des Jahrhunderts“, den Capote 1966 ausgerichtet hatte, war das Schoßhündchen zum lästigen Kläffer verkommen. „Ich wollte niemandem wehtun“, jammerte er schließlich, als er fassungslos sein Elend gewärtigte. Er hatte nur ein wenig sticheln wollen.
In der Rückschau erkannte Capote selbst, dass „Kaltblütig“ ihn ruiniert hatte. Den glänzenden Erfolg konnte er nicht mehr übertreffen, und in schrecklichen Träumen verfolgte ihn der Horror vacui der Hinrichtung der Mörder, der er beigewohnt hatte. „Etwas in meinem Leben hat mir ein schreckliches Trauma zugefügt, das scheint unwiderruflich zu sein“, wird er in Gerald Clarkes meisterlicher Biografie (ebenfalls bei Kein und Aber) zitiert. „Niemand wird je ermessen, was mich ‚Kaltblütig‘ gekostet hat.“ Capote begann, „tollkühn zu leben“, wie eine Freundin es formulierte. Zum Alkohol kamen Psychopharmaka und Kokain, weshalb sich die „frei flottierende Angst“ zu Paranoia auswuchs. Außer Sammlungen von Reportagen und Geschichten erschien zu seinen Lebzeiten kein Buch mehr von Truman Capote. Ein apokryphes Zitat von Theresia von Avila hatte er seinem nie abgeschlossenen Hauptwerk vorangestellt und stets überall hinausposaunt: „Es werden mehr Tränen über erhörte Gebete vergossen als über nicht erhörte.“