Der Bart der Propheten
Die große "Anthology" der Beatles in einem Bildband: Erstmals erzählen Paul McCartney, George Harrison und Ringo Starr ihre Geschichte
Zur Weltpremiere des Erinnerungs¿ Prachtbandes „The Beatles“ – einem quasi-autobiogtafischen Werk, montiert aus Interviews mit Paul, George und Ringo sowie älteren Zitaten von John – gibt es eine konzertierte Aktion von Vorabdrucken. Wir dokumentieren hier die Zeit nach „Magical Mystery Tour“ und die Entdeckung des Schnauzbartes, der besonders bei „Sgt. Pepper“ (die beigelegte Pappe der Erstauflage!) von nicht zu unterschätzender Bedeutung für die Popmusik war.
PAUL: Ich hatte einen Mopedunfall in Wirral, in der Nähe von Liverpool… Da lag ich mit abgebrochenem Zahn und so weiter. Er stieß durch meine Oberlippe… Mein Gesicht hatte wirklich etwas abbekommen; es sah aus, als hätte ich ein paar Runden mit Tyson im Ring gestanden _.
Er (der Arzt) kam sofort rüber, holte die Nadel raus, und nachdem er sie mühselig eingefädelt hatte, stach er sie in die untere Hälfte der Wunde. Er zitterte ein bisschen, kriegte sie aber ganz durch und sagte: „Oh, der Faden ist wieder rausgerutscht. Ich muss es noch mal machen!“ Kein Betäubungsmittel. Ich stand einfach da, und er fädelte die Nadel wieder ein und zog sie durch. Das war der eigentliche Grund, warum ich mir einen Schnurrbart wachsen ließ. Es war ziemlich peinlich, man wusste, dass deine Bilder an Teeny-Magazine wie „16“ verkauft wurden, und auf Bilder mit einer dicken, fetten Lippe konnte ich verzichten. So ließ ich mir einen Schnauzer wachsen …
Die anderen Jungs in der Gruppe ließen sich anstecken: Wenn einer von uns sich beispielsweise die Haare wachsen ließ, machten’s alle nach. Und dann wurde es als revolutionäre Idee angesehen, dass junge Männer sich unbedingt einen Schnauzer wachsen lassen mussten! Und das Ganze fiel mit der Sgt. Pepper-Geschichte zusammen, weil er diesen herunterhängenden Schnurrbart hatte. Ursprünglich hatte ich versucht, mir einen langen chinesischen Schnurrbart zu züchten, aber das war sehr schwierig. Man muss ihn immer schön einwachsen, und es dauerte ungefähr sechzigJahre, bis er lang genug ist – dazu fehlte mir die Geduld.
RINGO: Sich einen Schnurrbart wachsen zu lassen gehörte dazu, wenn man ein Hippie war: Du lässt dein Haar wachsen, du lässt dir einen Schnauzer wachsen, und in meinem Fall lässt du dir einen Bart stehen. Das waren die Sechziger pur, die da zum Vorschein kamen. Rasieren hab ich sowieso immer gehasst, aber der Schnauzer war nicht besonders, fand ich. Der Schnauzer wuchs, der Bart wuchs – die Haare wuchsen. Es gehörte einfach dazu. Nach und nach wurden wir zu Sgt. Peppers. Es war, als hätten wir eine Metamorphose vollzogen.
GEORGE: Die Schnurrbärte gehörten zur Synchronität und dem kollektiven Bewusstsein. Bei mir war es so, dass Ravi Shankar mir vor meiner Reise nach Bombay schrieb: „Versuch, dich zu verkleiden – könntest du dir nicht einen Schnauzer wachsen lassen?“ Ich dachte, „O. K., ich lass mir einen Schnauzer wachsen. Nicht, weil ich dadurch inkognito wäre, aber ich hatte noch nie einen Schnurrbart und deshalb lass ich mir jetzt einen stehen.“
Wenn man sich Bilder von den „Sgt. Pepper“-Sessions anschaut, sehen wir alle ziemlich lustig aus. Überall sprießen Haare im Gesicht. Und jeder hat einen Schnurrbart; ich glaube, sogar Engelbert Humperdinck hatte einen.
RINGO: 1966/67 waren die Beatles das Vorbild für andere Bands. Als wir nach L. A. kamen und uns etwas entspannten und mit Leuten wie David Crosby,Jim Keltner und Jim McGuinn herumhingen, wurde uns klar, wie viele Leute versuchten, so zu sein wie wir. Nicht speziell diese Leute, aber sie erzählten uns von den anderen Bands. Wir hörten, dass Produzenten allen sagten, dass sie wie die Beatles klingen sollten.
GEORGE: Ich kam Ende Oktober wieder nach England, und John kam aus Spanien zurück. Es war festgelegt, wann wir uns wieder sehen würden. Dann gingen wir ins Studio und nahmen „Strawberry Fields“ auf. Ich glaube, es herrschte zu diesem Zeitpunkt eine ernsthaftere Atmosphäre in unserer Band.
PAUL: Ich glaube nicht, dass wir uns wegen unserer musikalischen Fähigkeiten sorgten. Die Welt hatte ein Problem, nicht wir. Das war das Beste an den Beatles: Musikalisch gesehen machte sich, glaub ich, keiner von uns Sorgen. Wir konnten’s kaum erwarten loszulegen.
Das Schöne war, dass viele unserer Songs nach und nach etwas surrealer wurden… Wir öffneten uns künstlerisch und nahmen unsere Scheuklappen ab. Für „Strawberry Fields“ setzten wir ein Mellotron ein. Es hätte wohl Proteste bei der Musikergewerkschaft ausgelöst, deshalb hängten wir es nicht an die große Glocke. Es hatte Flötensamples auf Band… – Das führte schließlich zu „Sgt.Pepper«“