Der Bandname verheißt die Blues Explosion, doch JON SPENCER sagt: „I play Rock’n’Roll!“

So, wie er da sitzt, in den Hotelsessel und sich selbst versunken, macht Jon Spencer einen absolut uninterviewbaren Eindruck. Das ist keine Überraschung: Spencer gilt bei Journalisten seit jeher als harter Brokken. Und wenn mal mehrere von ihnen am knisternden Kaminfeuer zusammensitzen, dann erzählen sie sich wilde Geschichten darüber, wie sie von Spencer mißhandelt, abgekanzelt oder rausgeschmissen wurden. In dieser Hinsicht hat der launische New Yorker die Nachfolge von Nick Cave angetreten, der in den Achtzigern als erklärter Gegner jedes Musikjournalisten galt.

An diesem Tag kommt zur notorischen Vergrätztheit noch was anderes hinzu: Spencer hat eine Lebensmittelvergiftung. Während der Skandinavien-Tour habe er wohl „etwas Falsches gegessen“, stöhnt et Zwar sieht er ohnehin schon so aus, als habe er noch nie im Leben etwas „Richtiges“ gegessen. doch der Gemütszustand des Sängers drückt die Stimmung der ganzen Band noch weiter gen NulL Judah Bauer und Rüssel Simins lassen ebenfalls mehr an Implosion als an Explosion denken: schwarze Ringe unter den Augen, lustlos wird das Frühstück reingestopft, auf jede Frage folgt ein langes, fast bedrohlich wirkendes Schweigen.

Allseits umgangenes Thema: Spencers Blues-Verständnis. Dazu hat der Sänger schon Definitives gesagt – eine Zeile des neuen Albums „Acme“ manifestiert das nun erneut: „I don’t play no Blues, I play Rock’n’Roll“ Spencer erinnert („aber das ist wirklich mein allerletztes Wort!“) noch einmal an das Blues-Revival der frühen Siebziger. Damals verwahrten sich die Blues-Vfeteranen gegen die Vereinahmung durch den Rock’n’RoU. Jon Spencer fürchtet, irgendwann nur noch als Blues-Epigone wahrgenommen zu werden. Dabei kommt er ursprünglich aus dem Punk/ Hardcore-Underground der 80er Jahre: „Mit der wirklichen Blues-Tradition habe ich mich erst in den letzten Jahren beschäftigt Und ich setze mich auch ernsthaft mit Hip Hop und anderen Formen auseinander.“

Gut, sprechen wir über „andere Formen“, z. B. Hardcore, eine Punk-Techno-Synthese, die sich besonders in Deutschland großer Beliebtheit erfreut Generell kann man nämlich nicht behaupten, daß „Acme“, zum größten Teil von Steve Albini produziert, das bisherige Werk der Band so weit hinter sich lassen würde. Aber „Attack“, das letzte Stück des Albums, ist dann doch etwas Besonderes. Hier läßt Alec Empire, Donnergott des deutschen Hardcore, eines seiner Lärmgewitter los. Wie kam’s zu dieser Zusammenarbeit?

„Wir hatten einige von Alecs Aufnahmen gehört, die hier bei diversen Leuten schwer angesagt sind“, sagt Simins. „Bei den Beastie Boys etwa. Wir lernten Alec dann kennen und stellten fest, daß uns musikalisch zwar wenig verbindet, wir aber das gleiche Energie-Level haben. Er ist ein rasend schneller Arbeiter, und er hat eine unglaubliche Power.“ Außerdem ist er sehr links, sehr radikal. Wie kam man denn damit klar? „Hm, eher gar nicht. Wir sind keine Band für politische Agitation.“

Empire ist nicht der einzige Gast des Albums: „Wir haben inzwischen viele Kontakte geknüpft.“ „Now I Got Worry“, die letzte LP, war noch geprägt von der Zusammenarbeit mit Blues-Legende R. L. Burnside. Diesmal jedoch war die Liste länger, sie reicht von Ex-Big-Star-Produzent Jim Dickinson bis zu Public-Enemy-Studio-Wizard Nick Sansano. Ober all diese Leute könnten die drei sicher viele Geschichten erzählen. Wenn sie nur wollten.

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