Der Bänkelsänger

Am Montag geht aber auch dieser Mann wieder im frisch gebügelten unauffälligen grauen Anzug zur Arbeit und fügt sich ein in den beschaulichen Nachkriegstrott. Er heißt Franz Josef Degenhardt, ist vierunddreißig Jahre alt, Mitglied der SPD und Assistent am Institut für europäisches Recht an der Universität in Saarbrücken. Ein Jahr, nachdem er dieses Lied für eine Langspielplatte mit dem Titel „Spiel nicht mit den Schmuddelkindern“ aufgenommen hat, wird er mit einer Arbeit zum Thema „Die Auslegung und Berichtigung von Urteilen des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaft” promovieren. Er stammt gebürtig nicht aus dem Saarland, sondern aus dem südöstlichen Ruhrgebiet, das hört man schon an der Art, wie er das Wort Kirchgang singt: „Kiachgang”.  

Bereits während der Studienzeit in Köln und Freiburg hatte Degenhardt Gedichte geschrieben, in denen er seinem Unmut über das vom greisen Vater der Republik, Konrad Adenauer, in den Tiefschlaf gewiegte Land Luft machte. Alles ging hier seinen scheinbar unumgänglichen Gang, und alle hatten es sich in ihrer kleinbürgerlichen Spießigkeit gemütlich gemacht. Da aber niemand mehr Gedichte las, griff der Jurist irgendwann zur Gitarre und vertonte seine Poeme im Stil des französischen Chansonniers und zynischen Poeten Georges Brassens. „Zwischen null Uhr null und Mitternacht“ nannte er sein erstes Album, auf dem er sich zur Geisterstunde als diabolisches Rumpelstilzchen hämisch lachend unter die Betten seiner Mitbürger legte, um ihren Geschichten und (Alb )Träumen zu lauschen, und obszöne Sprüche an Toilettentüren kritzelte.  

„Baenkel-Songs von und mit Franz Josef Degenhardt” lautete der Untertitel dieser Liedersammlung, und in der Tat waren es vornehmlich der bundesdeutschen Gegenwart abgerungene schaurige Balladen und Moritate, die er zu Gehör brachte: So sang er von der sachlichen Romanze eines Paares, das sich ein Auto mit Radio und Schiebedach leisten kann, weil sie mit ihrem früheren Chef schläft, oder vom kleinen schmutzigen Hausierer, der einen Bauchladen voller Tabus feilbietet: 

 

„Ein halbes Pfund Ehre, eine Ehe, einen Gott 

und eine Tüte voll Angst vor dem Tod. 

Einen Zwiebelkranz Pflichten, Verdienstkreuz am Band 

zwölf Kilo Ehrgeiz, ein Schälchen Verstand.“ 

Abonniere unseren Newsletter
Verpasse keine Updates