Der Anzug wird zur Rüstung
Tom Ford, Modefürst und Regisseur, über Schönheit und Disziplin
Am Anfang meines Films „A Single Man“ (deutscher Kinostart am 8.4.) gibt es eine Sequenz, die sehr detailliert zeigt, wie die Hauptfigur ihre Kleidung für den Tag anlegt: George, gespielt von Colin Firth, ist Englischprofessor im Los Angeles der frühen Sechziger, muss seine Homosexualität verbergen und ist kurz davor, an der Trauer über den Tod seines Partners zu zerbrechen. Wir sehen, wie er sein Hemd anzieht, sorgfältig die Krawatte bindet, das Jackett schließt – aber wer sich dabei an die Ankleideszene mit Richard Gere in „American Gigolo“ erinnert fühlt, liegt falsch: Da war die stilvolle Kleidung vor allem ein Zeichen für Eitelkeit und Exzess, in „A Single Man“ geht es um etwas anderes. Der Mann, den wir sehen, ist innerlich zerstört. Und kann sich vor den Augen der Welt nur noch dadurch zusammenhalten, dass seine Schuhe glänzen, der Krawattenknoten symmetrisch ist, alles hundertprozentig gut aussieht.
Ich selbst bin auch so: Wenn ich einen schlechten Tag habe, nehme ich mir extra viel Zeit, um meine Haare zu machen und mich so perfekt wie möglich anzuziehen weil ich mir dadurch das Gefühl gebe, dass die Welt noch in Ordnung ist. Manche Menschen empfinden das vielleicht als altmodisches Dandyideal. Den Sinn für Höflichkeit und die Subtilitäten des Lebens haben wir leider mit der Zeit verloren – die Revolutionen der Sixties sind mit Schuld daran, obwohl sie natürlich notwendig waren. Trotzdem könnte ich mich totlachen, wenn Leute klagen: „Ach, hätten wir doch in den Fünfzigern gelebt!“ Wer hindert euch denn daran, heute so zu leben? Alles ist verfügbar! Cocktails um Fünf? Kein Problem – aber dann trinkt sie bitte aus schönen Gläsern. Nicht aus Plastikbechern.
Man sollte nie vergessen, dass man sich seinen Mitmenschen schon in dem Moment aufnötigt, in dem man auf die Straße tritt. Wenn man von ihnen gesehen wird, gehört man zu ihrem Leben – die simplen Entschuldigungen darf man sich selbst deshalb nie durchgehen lassen. Viele übergewichtige Amerikaner tragen riesige T-Shirts, weil das die einzige Kleidung ist, in der sie sich bequem fühlen. An Bequemlichkeit gewöhnt man sich leicht – aber auch ich fühle mich in meinen eng geschnittenen, zugeknöpften Anzügen wohl. Weil sie sich wie eine Rüstung anfühlen.