Der Allgegenwärtige
Wo immer man im deutschen Fernsehen auch hinschaltet, sitzt der Ostwestfale Oliver Welke. Warum eigentlich?
Bei manchen Menschen setzt sich gerne mal ein Husten fest. Sie ahnen nicht, wo sie sich den eingegangen haben, sie wissen nur ziemlich sicher, dass er nervt, weil er sich in den Bronchien festgefressen hat, weil er immer wieder mal üble Räusperanfälle in den unmöglichsten Situationen auslöst, weil er nicht wieder weggeht. Er klingt nicht bedrohlich, ist aber in seiner Impertinenz auf jeden Fall eines: furchtbar lästig. Ein bisschen ähnlich verhält es sich mit Oliver Welke.
Man kann sich schwerlich einen Menschen vorstellen, der sich in seinem Nachtgebet je gewünscht hätte, diese Gestalt im Fernsehen zu sehen. Oliver Welke hat nämlich so gar nichts von dem, was man gemeinhin als Qualifikation für öffentliches Auftreten interpretieren könnte. Trotzdem ist er da und verbreitet seine überdurchschnittlich durchschnittliche Erscheinung in den deutschen Medien mit einer Rasanz, die ihresgleichen sucht.
Wer beim falschen Sender Fußball guckt, trifft auf den Sportreporter Oliver Welke. Wer im NDR Eva Hermann sucht, trifft auf den Quizonkel Oliver Welke. Wer bei Stefan Raabs Events auf Zerstreuung hofft, trifft auf den Spielstandansager Oliver Welke. Wer unverschuldet in irgendwelche ultradämlichen Panelshows oder den oft ähnlich albernen „Quatsch Comedy Club‘ zappt, trifft auf den Stand-Up-Comedian Oliver Welke. Oliver Welke ist quasi überall und produziert sich auf viel zu vielen Kanälen als Symptom galoppierender Einfallslosigkeit der jeweiligen Programmmacher. Einen wie Welke wünscht man sich nicht, den zieht man sich zu. „Der Welke soll das machen“, sagt man, wenn alle Besseren schon abgesagt haben. Aber die Besseren sind nun mal rar.
Wundersamerweise ‚werden Sendungen, bei denen Welke mitmischt, in vielen Fällen kurz nach seinem Auftauchen eingestellt. Ein Schelm, wer darin System vermutete. Das macht dem wackeren Welke aber ohnehin nichts, denn bevor eine Show im Nirwana versunken ist, hat er schon zwei neue. Er ist einfach immer da, gekommen, um zu bleiben, und er will partout nicht mehr weggehen. Jeden Tag ’ne andre Show / die Rampensau im Telezoo“, haben die befreundeten Kollegen Oliver Kalkofe und Bastian Pastewka mal über ihn gefrotzelt und es damit eigentlich ziemlich präzise getroffen.
Dabei ist dieser Bielefelder eigentlich gar keine so unsympathische Erscheinung. Trifft man ihn ohne den Bildschirm dazwischen und plauscht eine Weile, dann glänzt er mit geistreichen Einwürfen, klugen Überlegungen und genauen Beobachtungen. Es gibt dann sogar einiges zu lachen, was dazu führt, dass das Bild verschwimmt, das man sich vom öffentlichen Welke gemacht hat. Redet man noch etwas länger, versteht man plötzlich auch, wie es zu der verbreiteten Annahme kommen konnte, einer wie dieser Oliver Welke müsse unbedingt ins Fernsehen.
Wenn der 42-Jährige übers Geschäft redet, erweist er sich als spontaner Ideengeber, der blitzschnell eine Pointe nach der anderen gebiert. Plötzlich wird deutlich, warum Kalkofe und Pastewka sich ausgerechnet diesen Coldplay-Möger als dritten Mann zum Drehbuchschreiben für die Edgar-Wallace-Parodie“Der Wixxer“ einluden. Welke kann was.
Leider tritt er im Fernsehen auf. Das ist durchaus als Missverständnis, wenn nicht gar als schwerer Betriebsunfall der Branche zu werten, denn eigentlich haben im Fernsehen Männer nichts zu suchen, bei denen das Doppelkinn immer mehr Raum im Gesicht einnimmt, was der Körper ganz offensichtlich durch rasant schwindende Haarpracht auszugleichen sucht. Außer sie heißen Ottfried Fischer und wirken, als bestünden sie aus einem Ganzkörperdoppelkinn. Welke ist nett, aber nicht hübsch. Er hat kein Mediengesicht.
Er hatte mal eines, was ihm heute immer noch gerne mal vorgehalten wird. Im zarten Kindesalter prangte sein Konteriei auf einer Dose mit Fleischwaren, was Welke als Tätigkeit in der Würstchen-Model-Branche verbucht, aber selten den Hinweis vergisst, dass so etwas in Zeiten keimender Pubertät keineswegs nur von Vorteil sein muss. So etwas will kompensiert werden. Wenn man dann noch mit der Schwäche einer ostwestfälischen Herkunft geschlagen ist, will man in der Regel nur noch eines: raus da.
Wenn man dann noch Oliver heißt, ist man unter Umständen ganz froh, wenn man beim Studium in Münster auf einen trifft, der unter dem gleich Vornamen leidet, dafür aber Kontakte zu einem niedersächsischen Privatradio mitbringt. Oliver Kalkofe war es, der Welke zum „Frühstcksradio“ bei der Privatstation Radio FFN einlieferte und damit dessen Karriere als Comedian anschob, was später die bekannten Folgen zeitigte.
Fragt man Kalkofe heute, warum er das Wirken seines Kumpanen Welke beim hypergrässlichen NDR-Quiz „Wer hat’s gesehen“ denn nicht in seiner „Mattscheibe“ parodiert, dann sagt er, die Show sei nicht schlecht und skurril genug. Nicht einmal das. Es sei einfach nur Fernsehen von vor 30 Jahren, konstatiert Kalkofe. Welke macht es trotzdem – und wenn man sich seine Behinderungen von Ostwestfalen über den Vornamen bis hin zur Würstchen-Model-Karriere ins Gedächtnis ruft, schaut man gleich viel gnädiger auf all das, was er im Fernsehen den Menschen antut. Aber auch nur dann.