Der Absturz schien vorprogrammiert, doch dann kratzte Country-Outlaw Waylon Jennings gerade noch die Kurve
Sieht so einer aus einer „Endangered Species“ (Songtitel) aus? Oder kokettiert Waylon Jennings auf seinem unlängst veröffentlichten Comeback „Waymore’s Blues (Part II)“ nur augenzwinkernd und selbstironisch mit dem Image des good ole Country-Boys, der auf der immerwährenden Suche nach Wein, Weib und Gesang heute kaum noch fündig wird?
„Entfremdung, sozusagen?“ Jennings nickt verschmitzt lächelnd. „Ja, sicher, ich hatte meine wilde Zeit, aber daß sie jetzt der Vergangenheit angehört, ist auch völlig okay. Wenn jemand da durch die Tür käme und sagte: ‚Waylon, morgen bist Du mit Deinem Album die Nummer 1 in der ganzen Welt!‘, würde ich nur antworten: „Nein danke, das hab ich doch schon alles längst gehabt.“
Er wolle mit seiner Musik eben „keinen Flächenbrand mehr legen“, sondern „nur noch meinen Spaß haben“. Und wenn er anfügt, daß er längst „über den Hit-Platten“ stehe, ist das in seinen Augen eher ein Indiz für ein „intaktes Ego“ Hennings) als für ambitioniertes Streben nach Erfolg.
Ein Selbstzünder und Chart-Topper ist die süperbe Produktion von Don Was denn auch nicht geworden. Und das, obwohl der Produzent sogar die Rolling Stones mitten in den „Voodoo Lounge“-Sessions sitzen ließ, um endlich das lange angestrebte Album mit Waylon realisieren zu können (sagt Waylon). Aber sie restauriert immerhin den Ruf eines Künstlers, dessen Karriere lange ähnlich ruiniert schien wie seine von Kokain traktierte Nase.
Für einen Mann, der den Begriff „Cold Turkey“ nicht nur aus Erzählungen von Freunden kennt, sieht Waylon Jennings heute, mit seinen fast 58 Jahren, erstaunlich gesund und propper aus. Das immer noch volle Haar zeigt kaum graue Strähnen, der markante Vollbart ist akkurat gestutzt, und selbst die Hüfte wirft keine ungewünschten Rettungsringe mehr. Hotel-Bars, die ihn möglicherweise noch einmal vom Pfad der neuen Tugend abbringen könnten, werden heute prophylaktisch entalkoholisiert, wenn Jennings einläuft. Und die Diät bricht er nur, wenn gerade einmal die unwiderstehlichen Nürnberger Bratwürstchen greifbar sein sollten. Vorbei die Zeiten, da Coke-Freak Jennings mit der Aufmerksamkeitsspanne einer nervösen Stubenfliege über vier, fünf Tage wach blieb und unweigerlich „ausflippte, wenn nicht immer Stoff für mindestens 20000 Dollar griffbereit lag“.
Vor allem Ehefrau Jessi Colter zuliebe habe er sich irgendwann einmal selbst die Pistole auf die Brust gesetzt, in einem nicht für möglich gehaltenen Willensakt, der physische und psychische Abgründe ungeahnten Ausmaßes auftat Jennings: „Aber ich hatte einfach kein Recht, ihr das weiterhin anzutun.“
Mit der verfilzten Country-Industrie in Nashville ist Jennings ebenso fertig. Sollen heute doch andere die Kämpfe gegen rigide Produktionsbedingungen ausfechten, die ihm vor 20 Jahren über den Umweg nach New York die lang angestrebte Unabhängigkeit brachten. Der einzige Unterschied zu damals, so Jennings, bestehe darin, daß „die Produzenten inzwischen locker mal 250 000 Dollar für ein Album verlangen, das sie ohne weiteres auch für 30 000 machen könnten“.
Die zunehmend austauschbare Künstler-Riege in der heutigen Countrymusik werde fast nur durch einige Frauen (Kathy Mattea, Trisha Yearwood) aufgewertet. Ansonsten sei die Qualität standig gesunken.
Mag Waylon Jennings auch wehmütig die Tage der „Wild Ones“ (gemeint sind Jessi, Willie Nelson und er selbst) beschwören die Tuchfühlung mit dem Hier & Jetzt garantiert Sohnemann Waylon Albright, kurz: „Shooter“. Neulich war Jennings gemeinsam mit dem 15jährigen „Computer-Freak“ sogar online in einer Presse-Konferenz bei CompuServe zu erleben.
Auch Namen wie Enigma und Nine Inch Nails gehen Waylon (Sr.) locker über die Lippen. „Bevor ich gehe, werdet Dir noch ein richtig schräges Album von mir zu hören bekommen“, droht Jennings lachend den späten Aufbruch zu neuen Ufern an.
Schlimmer als viele mediokre Cover-Alben aus den 80er Jahren kann’s eigentlich gar nicht werden. Erst »A Man Called Hoss“, das autobiographisch von Aufstieg, Fall und Läuterung erzählte, brachte ihn 1987 „wirklich zum Songschreiben zurück“. Nur die Erklärungen zu den einzelnen Kapiteln bereut er heute, denn: „If you have to explain it, you drain it!“
Apropos: Waylon, sagen Sie, diese Texte über Frauen. Von wegen, daß man immer ein „wanderndes Aphrodisiakum“ (O-Ton Jenning) in Reserve halten solle, was nicht sehr viel Liebe, dafür aber gute Nerven erfordere (wie es in dem Titelsong heißt). Ah, also, ist da nicht auch Ironie im Spiel?
„Genau deshalb ist auch Jessi immer noch an mir interessiert“, gibt Jennings lachend zurück. „Sie weiß manchmal nämlich auch nicht, ob ich das wirklich so meine. Aber ich würde nie einen Song schreiben, der ihre Gefühle verletzen könnte.“ Letztes Jahr haben die beiden Silberhochzeit gefeiert.