Deppertes Geschau
Der Wiener Polizeimajor Adolf Kottan ermittelt nun auch in deutschen Kinos. Schriftsteller Franzobel erklärt ein österreichisches Phänomen.
Jeder Erfolg ist ein Missverständnis. In Österreich besonders. Hier ist das Nichternstnehmen (auch des Erfolgreichen) explizit. Insofern ist auch alles Scheitern von vornherein relativiert, aber eben auch jedes Glücken. Immer hat man das Gefühl, das Gesagte wäre gar nicht so gemeint. Alles ist durchdrungen von einem ironischen Grundton, das Gemeinte und das Gesagte sind fast immer weit entfernt, und dabei spricht der Österreicher ja eher unartikuliert, näselt, verschluckt und nuschelt. Die Muttersprache des Österreichers ist der Double-Bind. Die Einzigen, die wirklich etwas ernst meinen, sind die Verbitterten. Alle anderen tun nur so als ob.
Diese Einstellung scheint das ganze Land zu durchziehen. Tun wir so, als ob, aber dabei meinen wir es gar nicht so. Das ermöglicht den Aufbau von Kulissen und Attrappen, und die sind wichtig in Österreich. Vielleicht als Konsequenz davon die Sehnsucht nach der Tiefe, die Seelenwühlerei, die Sehnsucht nach dem Tod, dem Ende allen Scheiterns?
Österreich ist berühmt für seine Weine, seine Autobahnraststätten, Skifahrer, die Lipizzaner, das Neujahrskonzert, den Opernball samt skurrilen Gästen, vielleicht sogar für seine Keller, aber wohl kaum für seine Polizei. Zwar gibt es jede Menge diesbezügliche Anekdoten, wie etwa die des Polizeipräsidenten Holaubek, der einen flüchtenden Ausbrecher mit den Worten „Komm heraus, ich bin’s, dein Präsident“ zur Aufgabe bewog. Auch an spektakulären Verbrechen mangelt es nicht: Giftmischerinnen, Prostituiertenmörder, Bürgermeistervergifter, Leichenzerschneider, Amokläufe, Wirtschaftskriminalität usw. hielten das Land in Atem.
Und obwohl der Österreicher im Großen und Ganzen ein fried- und ordnungsliebender Mensch ist, gibt es seit Metternich beliebtere Berufsstände als die Polizei. Man würde also kaum auf die Idee kommen, im Mittelpunkt von Österreichs kultverdächtigster Fernsehserie ausgerechnet einen Wiener Polizeimajor (weil Inspektor gibt’s kan) zu vermuten: Adolf Kottan, man beachte die klangliche Nähe zu Jerry Cotton. 45 Jahre alt, mehr Hobo denn Polizist, verheiratet, Vater einer Tochter, meist mit Latzhose bekleidet, unterstützt von zwei Assistenten, dem vertrottelten Alfred Schrammel und dem einbeinigen Paul Schremser, im ständigen Clinch mit seinem Präsidenten Heribert Pilch, der seinerseits nicht nur das Verbrechen bekämpft, sondern sich auch im Dauerkampf mit einem Kaffeeautomaten befindet, pompöse Pressekonferenzen organisiert und äußerst unverblümt Kottans nicht mehr ganz taufrische Frau hofiert, ist dieser Adolf Kottan eine der erfolgreichsten und populärsten Fernsehfiguren Österreichs. Kult? Ja, aber wie gesagt, jeder Erfolg ist auch ein Missverständnis.
In den späten 70er- und frühen 80er- Jahren war das Fernsehprogramm noch kein unendliches Sport-, Erotik-, und Beicht-Universum wie heute, sondern eher ein seinem Bildungs- und Unterhaltungsauftrag nachkommendes breiiges Medium mit viel Klimbim, Rundfunkorchester, Schulsendungen und braven Fernsehspielen, wovon sich eine satirische Krimipersiflage wie „Kottan ermittelt“ wohltuend unterschied. Warum die teilweise haarsträubenden „Kottan“-Plots damals so gut funktionierten, lässt sich heute allerdings kaum noch nachvollziehen. Einige gute Running Gags wie die immer wieder abgefahrenen Autotüren, witzige Gesangseinlagen und ein paar lustige Sprüche machen ja noch keine Kultserie. Vielleicht liegt es daran, dass die österreichische Gesellschaft (ähnlich wie bei Thomas Bernhard, nur weniger verbissen) als durch und durch vertrottelt dargestellt wurde? Nicht nur die Polizisten waren mit Aus- nahme Kottans und Schremsers ein Haufen überforderter, eitler und unfähiger Idioten („ein deppertes Geschau und vier Meter grüner Stoff“), auch die Verbrecher und ihre Opfer wurden durchwegs als Grenzdebile dargestellt. Das reicht bis zur Fernsehansagerin Chris Lohner, die sich mit skurrilen Ansagen immer wieder direkt an ihre Zuseher wandte oder gleich gegen die Innenseite des Fernsehers klopfte, um ihre Zuseher aufzuwecken. Einmal kündigte sie die von vielen Sehern geforderte Wiederholung eines Senderausfalls an, ein anderes Mal traf ein Speerwurf einen Weitenrichter, erschoss ein Starter einen Sprinter usw. Eine der wenigen positiven Figuren ist der behundete, stets die Leichen findende Landstreicher (auf Österreichisch heißt das Sandler), dargestellt von Carlo Böhm.
Der Österreicher glaubt nicht an die Aufklärung, nicht an die Vernunft. Er misstraut der Logik und der Sprache, selbstverständlich auch der Politik, den Medien, ja eigentlich misstraut er allem, auch sich selbst, weil er vermutet, dass hinter jeder Pose, hinter jeder Behauptung eine Sagen-wir-nur-so-Einstellung steckt. So agiert auch Kottan, misstraut allem, nimmt sich selbst nicht ganz ernst, ist charmant anarchistisch, flirtet mit Nutten, etwas spröde und vor allem: noch immer allen in bester Erinnerung.
Ob er aber wirklich so gut gewesen ist, wie jetzt alle denken, muss man sich angesichts der Neuverfilmung doch ernsthaft fragen. Diese funktioniert nämlich überhaupt nicht. Wahrscheinlich haben sich unsere Sehgewohnheiten mit den „Simpsons“, „Breaking Bad“, „American Dad“ oder was immer wir uns in den letzten Jahren so reingezischt haben, drastisch verändert. „Kottan“ (der Film) wirkt dagegen tröge, gewollt lustig, teilweise peinlich und ästhetisch unausgegoren. Nicht einmal mein 13-jähriger Sohn konnte dem etwas abgewinnen.
Jeder Erfolg ist ein Missverständnis. Die Toten werden von den Lebenden benützt. Darum ist auch die Legende von den armen, verkannten Genies derart beliebt, weil sie stellvertretend für das eigene Verkanntwerden steht. Kaum ist einer tot, wird er ausgestopft, gefressen, kaum ist einer tot, stürzen sich die Offiziellen auf ihn, saugen ihn, mit dem sie vorher nichts zu tun haben wollten, aus, bemächtigen sich seines Namens, tun auf groß mit ihm. So ähnlich ist es auch mit Adolf Kottan, Wiener Polizeimajor, nach nur 19 Einsätzen 1983 in Pension geschickt, jetzt wieder reaktiviert und dabei groß gescheitert. Aber auch das ist nicht so ernst zu nehmen.