Depeschen aus der universalen Vorstadt
In einer anonymen Suburbia in New Jersey kreieren Yo La Tengo einen autarken, frei schwebenden Musik-Kosmos - und haben doch festen Boden unter den Füßen
Wenn die Nacht auf Hoboken fällt, hat James McNew schon zu Abend gegessen, das Geschirr weggeräumt und mit seiner Frau eine Runde Fernsehen geguckt „Ich verlasse eigentlich nie das Haus“, sagt der Bassist von Yb La Tengo so selbstverständlich, als wäre dies das Selbstverständlichste der Welt „Es sei denn, wir proben mit der Band.“ Früher nahm er immerhin schon mal den achtstündigen Trip von seinem damaligen Wohnsitz in Virginia nach New Jersey auf sich, um irgendeine obskure Band aus Neuseeland im „Maxwell’s“ zu sehen. Jetzt spielt der bärige Hüne selbst in der Band, für die andere ein drire all night zu dem überregional bekannten Hoboken-Gub in Kauf nehmen würden. Neulich, eines Nachts – war die Frau etwa schon sanft entschlummert? – sah McNew im Kabel-TV „The Last Days Of Disco“. Die Charaktere in dem Film hätten ihn nicht sonderlich berührt, sagt er, die Grundstimmung schon: „Ihr Leben drehte sich ausschließlich ums Ausgehen. Doch dann war Disco plötzlich vorbei – so als hätte ihnen jemand gesagt, dass die Welt ab sofort ohne sie stattfinden würde!“ Das sei, so McNew, „gleichermaßen rührend und traurig“ gewesen, und im nächsten Atemzug erinnert er sich an New Wave und das höhnische Gelächter über „all die kleinen Robert Smith-Clones“, als der große Gruft-Boom auf dem Kompost der Popgeschichte gelandet war. Und daran, „was es dir damals bedeutet hat“ („Remember the way you make me feel“ von Yo La Tengos „Our Way To Fall“).
Wir kamen auf das Thema zu sprechen, weil es einen Song mit dem Titel „Last Days Of Disco“ auf dem neuen Yo La Tengo-Oeuvre „And Then Nothing Turned Itself Inside-Out“ gibt. Und weil sie auf ihrem zehnten Album – nach den Kinks, Gene Clark, Beach Boys und anderen – nun keinem anderen als George McCrea ihre Referenz erweisen, und zwar mit dessen 70’s-Hit „You Can Have It All“. McNew sagt, ihm sei seinerzeit völlig egal gewesen, ob ein Song nun von McCrea oder den Stones stammte „Hauptsache, er klang gut im Radio.“
Georgia Hubley, das zweite Tengo-Drittel und Ehefrau von Ira Kaplan, dem Dritten im Bunde, gesteht sowohl eine Stones- als auch „eine kleine Disco-Phase“ ein, betont aber lachend, dass sie auch McCrea zwar gerne gehört, aber stets darauf geachtet habe, dass „ich nicht aus dem Boot gekickt werde, sondern selbst entscheide, wann ich aussteige“. Wenn sie heute aber etwa die Average White Band höre, „zucke ich immer noch leicht zusammen. Oder die Ohio Players, das war noch was! Aber dann ging’s bergab, als die Nabelschnur zum Soul gekappt wurde, als das Kokain wichtiger wurde als die Musik.“
Überhaupt sei selbst das McCrea-Cover „mehr Soul als Disco“ für sie. Hubley: „Viele Songs bekommen bei uns erst ganz zum Schluss ihre Titel. Vielleicht dachte Ira beim Schreiben ja an Disco im Allgemeinen? Nein, kann ich mir auch nicht so recht vorstellen. Es gibt allerdings einige Songs, die eine kleine Soul-Schlagseite haben, was die Beats, einige Sounds angeht“ Auf einem Disco-Album würde man ja auch kaum die Empfehlung „set the volume to medium“ finden.
Für das „wintry work“ (PR-Formulierung) von Yo La Tengo indes ist das genau die richtige Maßgabe – für dieses gute Dutzend sanft, aber nie beliebig dahindriftender Songs, mit denen das Trio erneut seine Sonderstellung im Alternative-Pop-Betrieb unterstreicht – scheinbar mühelos.
Mühelos? Studioarbeit sei „nie leicht“, sagt Hubley, doch lag „auch nicht soviel Spannung“ in der Luft. Stärker noch als beim Vorgänger „I Can Hear The Heart Beating As One“ habe man sich „gezwungen, die Songs nicht schon im Proberaum fertig zu stellen, um dadurch offener sein zu können für den Studioprozess.“ Und dann sagt die Schlagzeugerin und Sängerin von Yo La Tengo noch zwei Sätze, die das intakte Gefüge und Selbstverständnis der Band wunderbar beschreiben. „Wir wussten, was wir wollten – auch wenn wir vorher nicht genau wussten, wie das letztendlich klingen würde. Wir vertrauten einfach darauf, dass wir erkennen, was wir wollen, wenn wir es hören.“
So ließen sie die Dinge treiben „anstatt dagegen anzukämpfen. Irgendwann war uns natürlich schon aufgefallen, dass das gesamte Material so ausnahmslos ruhig und verhalten ausgefallen war. Sollten wir nicht besser einen richtigen Knaller dazwischen haben? Aber wir wollten einfach nicht, warum auch immer. Wir waren glücklich mit dieser Stimmung -jedenfalls bis kurz vor Schluss.“
Ja“, sekundiert McNew, „kaum hatten wir uns damit abgefunden, dass diesmal alles schön tneüow bleibt, kam dann doch noch dieser Tengo-typische Rocksong um die Ecke gebogen, den wir ,Cherry Chapstick‘ getauft haben. Wahrscheinlich machen wir so was nur, um uns selbst aus dem Konzept zu bringen.“
Erneut ging die Band in Nashville ins Studio, weil dort ihr Stammproduzent Roger Mountenot zu Hause ist Mittlerweile haben sie auch Freunde in der Stadt; auf Gast-Beiträge lokaler Größen, wie zuletzt Pedal Steel-Legende Al Perkins, verzichtete man diesmal aber, weil es musikalisch nicht zwingend war. Hubley: „Wir könnten überall auf der Welt ins Studio gehen, es würde wohl keinen Unterschied machen. Auch wenn es mal eine nette Abwechslung ist, woanders zu sein, sehen wir letztlich doch kaum mehr als das Studio von innen. Aber vielleicht sind wir in einer Stadt wie Nashville doch konzentrierter, als wenn wir im benachbarten New York ins Studio gehen – keine Besuche, keine Ablenkungen.“ Und endlich mal raus aus Hoboken.
Ihrer Heimatstadt haben Yo La Tengo jetzt mit dem über 17-minütigen „Night Falls On Hoboken“ ein elegisches Denkmal gesetzt Ein Abgesang auch, der gesellschaftliche Umbrüche durchschillern lässt „Hoboken ist inzwischen so fade wie andere Vorstädte auch“, zuckt Georgia Hubley mit den Schultern. Der „Community spirit“ sei weitgehend im Eimer, weil viele Leute nach New Ybrk pendeln – beziehungsweise „gleich ganz wegziehen, wenn sie erst mal zu Geld gekommen sind. Es ist alles ziemlich opportunistisch geworden. Und teuer. An jeder Straßenecke stolpert man über Baukräne.“
Hubley fühlt sich irgendwie ungut an die Pioniertage im alten Westen erinnert „Es ist, als würden sie eine neue Bahnstrecke verlegen – und gleich duellieren sich womöglich noch ein paar Cowboys, die gerade in die Stadt reiten.“ Sie lacht. Wie gut, dass James McNew das Haus nur verlässt, wenn Yo La Tengo proben.