Depeche Mode: Schmerz, laß nach
Nostalgie on tour. Routiniert spielen Depeche Mode mit großen Gesten und Projektionen die schönsten Momente ihrer langen Karriere noch einmal nach
Hamburg, Color Line Arena. The Bravery im Vorprogramm von Depeche Mode! Darauf muß man erst mal kommen. Die paar Beats aus dem Sequencer und der Verweis auf den Pop der Achtziger sollen hier wohl die Brücke schlagen. Aber natürlich ist das eine wahre Mutprobe, zu der die fünf New Yorker da verdonnert werden, zumal der Sound in der natürlich ausverkauften Hamburger Color Line Arena – jedenfalls auf den Journalistenplätzen – äußerst entsetzlich ist.
Depeche Mode, wie Heilige empfangen, erwischen einen schlechten Start und ertränken „A Pain That I’m Used To“ im obligatorischen Klangchaos. A pain one is used to, natürlich. Doch auch „John The Revelator“ klingt live wie Stadion-Rock und verliert alles Dunkle, Enigmatische, das der Studiovorlage ihren Reiz verleiht. Von Anfang an gelingt Gore, Gahan und Fletcher so gar keine Distanz zum Auditorium – auch bei den folgenden Songs, darunter „Policy Of Truth“, ist offenkundig alles gesagt und schon jedes Geheimnis gelüftet. Depeche Mode steht dieses Kommunale, gemeinschaftlich Aufgeblähte, vollends Entlarvte nicht, und fast kippt der Abend schon nach 15 Minuten ins Bedeutungslose. Erst „Walking In My Shoes“ berührt und entfaltet die hier klassischen Themen; auch das neue „Suffer Well“ gewinnt live an Format. Diese Gitarre! Die bleibt ewig.
Nicht so lange hingegen bleiben die von Gore gesungenen Songs, von denen es zunächst das neue „Macro“ und „Home“ vom 97er-Album „Ultra“ gibt. Das DM-Set braucht diese Lieder nicht halb so sehr wie Gore, der den Moment in der Bühnenmitte augenscheinlich sehr genießt.
Nach der Rückkehr Gahans wird es besser mit Depeche Mode: „The Sinner In Me“ beeindruckt live als bös greinende Nine-Inch-Nails-Walze, „I Want It All“ wird zum dunklen Manifest der gequälten Seele, und bei „Personal Jesus“ stehen DM endlich erhaben über den Dingen. Kurz vor Schluß des regulären Sets zieht sich Gahan das Hemd aus und singt einen kurzen Sex-Reigen aus „I Feel You“ und „Behind The Wheel“, zu dem auf der Leinwand die Silhouetten von nackten Frauen mit Vogelköpfen zu sehen sind. Die Worte „Sex“ und „Salvation“ blinken auf, und die Damen in den VIP-Logen räkeln sich im Gegenlicht wie die auf der Leinwand. Dann das Finale, „Enjoy The Silence“: Gahan steht vorn an der Bühne und spielt sein Gitarrenthema immer und immer wieder – sein Lebenswerk, seine Idee, die Blaupause dieser Karriere. Man fühlt mit ihm.
Ab hier ist das DM-Konzert eine unterhaltsame 80s-Revue. „Just Can’t Get Enough“, „Everything Counts“ etc. sind nur noch Scherz und die Auslaufrunde nach dem großen Rennen. Das allerdings hat schon vor sehr langer Zeit aufgehört. Als Gore und Gahan am Ende auf dem Laufsteg zu „Goodnight Lovers“ die Kumpelpose geben, glaubt man ihnen nicht. Dramaturgisch ist das aber natürlich einwandfrei.