Denker&Lenker

Heinz Rudolf Kunze und Gunter Gabriel über Heimat, Helden und späte Herausforderungen Sie gehören zu den alten Fahrensleuten des deutschen Liedes und veröffentlichen in diesem Herbst jeweils neue Alben, die zu den besten ihrer Karrieren zählen. Die vermeintlichen Antipoden haben auch sonst manches gemeinsam - Kunze hat für Gabriel sogar schon einige Songs verfasst. Ihre Temperamente und LyrikAuffassungen unterscheiden sich allerdings deutlich.

Yvonne Koch, Tochter und Managerin von Gabriel, ist etwas ungehalten. Der Vater mag sein Jackett nicht anziehen, obwohl es zieht. „Ein bisschen Cowboy müsst ihr in mir drin lassen“, sagt Gabriel, der alte Rebell, und bleibt im Hemd sitzen. Gabriel trifft sich mit Heinz Rudolf Kunze in der Oberhafenkantine, einer nostalgischen Hamburger Kneipe, die so schief ist wie der Turm in Pisa. Da kommen zwei deutsche Sänger ins Gespräch, die unterschiedlicher kaum sein könnten. Der wie gedruckt redende Kunze, reflektiert, sortiert, intellektuell, trifft auf Gabriel, der all das nicht ist bzw. nicht war – vor dem Hintergrund handfester Lebenskrisen hat es hier Einsichten, Therapien und Läuterungsprozesse gegeben. Trotzdem: Gabriel ist Gabriel, er haut raus, was ihm einfallt.

Anlass des Treffens sind jeweils ein neues Buch und ein neues Album der beiden Musiker. Gabriel hat unerwartet einen Major-Deal im Sack und ein Album namens „Sohn aus dem Volk: German Recordings“ veröffentlicht, auf dem er Songs von Ideal, Radiohead und Peter Fox in dunklen Country und Blues übersetzt. Da wird also der Gabriel noch einmal zum deutschen Johnny Cash stilisiert. Wer weiß: Vielleicht gelingt auf diesem Weg etwas Ähnliches wie unlängst mit Udo L. Parallel erscheint „Wer einmal tief im Keller saß‘, eine Biograne, in der Gabriel alles verhandelt – die Karriere als deutscher Country-Sänger und Auftragsschreiber, das finanzielle Fiasko in den Achtzigern, die Wohnzimmerkonzerte, das Hausboot in Harburg, die Liebe, die Hiebe, das Leben.

Kunze veröffentlicht mit „Räuberzivil“ einen Auftritt der kleinen Besetzung mit Wolfgang Stute und Hajo Hoffmann, eine Mischung aus akustischer Musik und Lesung, live aufgenommen an einem Abend in Westfalen. Sieben neue Lieder sind darauf, dazu bekanntes Material und schön viele gesprochene Texte. Das ist die Freiheit des multipel kreativen Kunze, der neben der Pop-Karriere auch die eines Kleinkünstlers und Literaten hat. Ein neues Buch namens „Salto Mortale“ ist unlängst erschienen. Am Tag vor dem Treffen ist „Räuberzivil“ in die Charts eingestiegen, was Kunze sehr stolz macht.

Vorspiel

Gabriel: Ein Live-Album? Wie schrecklich. Ich hasse Live-Alben.

Kunze: Ich nicht. Gabriel: Ich ja. Das ganze Gerede, das kann ich mir nicht immer wieder antun. Ich habe dich live gesehen und fand das auch klasse, aber ich möchte das nicht auf Platte haben.

Kunze: Das ist ja kein Dazwischengerede, das sind elaborierte, kabarettistisch-satirische Texte.

Gabriel: Ich mache auch Zwischentexte, aber halt nichts Geplantes. Ich gehe auch ohne Setliste auf die Bühne, meine Band weiß gar nicht, was kommt, ich gebe nur die Tonart durch.

Kunze: Genau wie Bob Dylan: G-Dur, bis der Arzt kommt.

Gabriel: Ich bin ja für die Leute da, die will ich entertainen mit ’nem halbwegs vernünftigen Song. Oft spüre ich erst auf der Bühne, was richtig ist. Ich hab da allerdings so ein Ritual – meistens fang ich mit „30-Tonner Diesel“ an, wie Johnny Cash, der immer mit „Folsom Prison“ losgelegt hat. (Intoniert das Gitarren-Riff) Dedadadong-dong-dong-dedadadong – alle wussten sofort, was kommt.

Kunze: Ja, diese BoomChickaBoom-Musik. So fangen aber natürlich ungefähr 20 Songs von ihm an.

Gabriel: Nein, das stimmt so nicht. Die Einleitungen sind alle verschieden. Zum Beispiel „Big River“: Babababa-Baubau-Bumbumbumbum, das ist anders. Das kommt von dieser Luther-Perkins-Gitarre. Das war ja quasi ein Ersatz für die Snare, wenn sie keinen Trommler hatten.

Kunze: Also, um mal zurück zu den Zwischentexten zu kommen: Wenn du dir unsere Platte anhörst, wirst du merken, dass die Texte genau vorbereitet und schriftlich festgehalten sind.

Gabriel: Das bewundere ich ja auch an dir, dass du das kannst.

Lyrik

Weil Gabriel Kunzes neue Platte noch nicht kennt, hören wir uns „Alaska Avenue“ an, einen der neuen Songs auf „Räuberzivil“ und Kunzes Favorit. Ein Mann zieht sich darin wegen eines gebrochenen Herzens ins ewige Eis zurück, schwimmt mit den Lachsen und will von der zivilisierten Welt nichts mehr wissen. Die Worte sind poetisch, wie Schraffuren einer universellen Traurigkeit. Gabriel beugt sich vor das Abspielgerät, blättert im Booklet – und wirkt nicht sehr glücklich.

Gabriel: Damit kann ich überhaupt nichts anfangen. Ich will das ja nicht schmälern du hast ja ’ne ganz andere Denkweise drauf. Aber so’n Song geht an mir völlig vorbei, weil er mir viel zu langatmig ist. Ich würde das ganz anders ausdrücken. Nimm zum Beispiel ein ähnliches Lied von George Jones, „He Stopped Loving Her Today“. Das geht wie ein Messer in dich rein, und zwar jeder Satz. Da wird nicht lange drum herum geredet, und deshalb finde ich diese Art, wie die Cowboys das ausdrücken, besser. Du bist ja ein lyrischer Mensch, aber ich muss in jeder Zeile einen neuen Gedanken haben.

Kunze: Oh, den hat es aber. Gabriel: Ja, aber ein Satz wie (liest im Booklet) „Hab mich nach der Frau gefragt, wie es ihr wohl ginge, ob sie manchmal an mich denkt und dergleichen Dinge“, ich würde das ganz anders ausdrücken. Härter, direkter, fordernd. „Eis schmilzt von der Hitze meiner Sehnsucht“, was weiß ich denn, so würde ich das sagen.

Kunze: Bei „Hitze meiner Sehnsucht“ würde ich ein bisschen kalte Füße bekommen. Aber auch bei mir ist das Texten kein intellektueller Laborvorgang, wie manche Leute denken, sondern passiert ganz instinktiv. Man schreibt ja wie ein Medium, man muss die Musik nur wie eine Antenne auffangen. Die Reflexion setzt erst ein, wenn ich den letzten Punkt gemacht habe.

Gabriel: Das ist bei mir komplett anders. Wenn ich schreibe, denke ich: Versteht der andere das auch sofort? Ich möchte es so klar wie möglich haben.

Kunze: Ich auch, aber es gelingt mir nicht immer. Manchmal fallen mir halt Bilder ein, weil ich das Gefühl habe, Umgangssprache kann das so genau gar nicht sagen, was ich ausdrücken will.

Gabriel: Doch, sie ist oft viel deutlicher. Ich habe ja Songwriting Anfang der Siebziger bei einem Verlag gelernt, und der Chef damals hat mir gesagt: Pass auf, jede Zeile ein neuer Gedanke, halt dich nicht lange bei so Zeugs auf, du hast nur drei Minuten.

Kunze: Okay, wenn man sich an das Dreieinhalb-Minuten-Format hält, muss man solche Überlegungen anstellen. Aber ich mache ja auch Lieder, die sechs oder sieben Minuten lang sind, und da lasse ich es schon mal laufen.

Gabriel: Das kannst du dann ja auch. Ich bin da eben ganz anders als du, und das ist ja auch gut so.

Kunze (zum Moderator): Wir haben übrigens schon zweimal versucht, zusammen zu schreiben. Vor langer Zeit wollte Gunter Johnny Cashs „The Man Comes Around“ machen, ich habe es für ihn übersetzt. Doch ich bekam eine Antwort, die ich von vielen Kollegen schon gehört habe. .Lieber Heinz, das kann ich so nicht singen, das klingt doch sehr eigenartig und auch zu sehr nach dir.‘ Anfang diesen Jahres haben wir uns dann bei einer Fernsehsendung getroffen, und er fragte, ob ich nicht etwas für seine neue Platte versuchen wolle. Dann habe ich richtig einen Lauf gehabt – ich hatte die Autorität seiner Stimme und seine Gestalt wieder gespeichert und habe sechs, sieben Texte gemacht. Leider kam es nicht dazu, dass er sie umgesetzt hat. Aber das nehme ich ihm nicht übel (grinst).

Gabriel: Der Verlag hat mir deine Songs geschickt, aber ich habe sie zu Hause nie richtig hören können. Erst kürzlich im Auto ging das, und da dachte ich, Donnerwetter, ein, zwei Stücke könnte ich richtig gut vertragen.

Kunze (zu mir): So richtig scheiße kann er mich nicht finden. Als ich beim Grand Prix mitgemacht habe, hat er mir seine schwarz-rot-goldene Gitarre als Talisman mitgebracht. Das war eine sehr liebe Geste, die ich nie vergessen werde.

Gabriel (streichelt Kunzes Hand): Aber Schatzilein, ich hab dich nie scheiße gefunden. Bis mir mein Geld Mitte der Achtziger ausging, habe ich jede Platte von dir gekauft.

Johnny

In dem Lied, das wir gehört haben, gibt es Anspielungen aus Dylans „Desolation Row“, Gunters Album heißt „German Recordings“, in Anlehnung die „American Recordings“ von Johnny Cash. Spielen Zitate eine große Rolle für euer Songwriting?

Kunze: Ich habe oft ein Zwiegespräch mit Bob, ja.

Gabriel: Nicht so direkt, nein. Aber ich kenne es natürlich, wenn dich ein Song tief berührt. Ich weiß noch, als ich „Give My Love To Rose“ in Nashville sang (2003, während der Aufnahmen für das Album“.Das Tennessee-Projekt“), da saß Cash am Mischpult, und ich sah durch die Scheibe, wie er weinte. Ich habe ja mit Johnny Cash im Grunde überhaupt nichts zu tun. Er ist ein Baum, er ist Amerikaner, ein guter Songschreiber – da kann ich ja gar nicht dran lecken. Und trotzdem fühle ich mich ihm nah. Wenn der so singt, daran könnte ich kaputtgehen.

Kunze: Da besteht bei uns ja durchaus Einigkeit. Ich habe Cash viel später entdeckt als Gunter, aber dafür umso heftiger. Dieses Fünffach-Album „Unearthed“, dieses Vermächtnis, das hat mich umgehauen. Ich habe es dann mit einem gewissen pädagogischen Impetus meinem Sohn geschenkt, der eigentlich lieber Bloc Party hört.

Gabriel: Man wächst da rein, hundertprozentig. Ich war übrigens dabei, als dieses Album aufgenommen wurde. Wir mussten drei Stunden pro Tag das Studio verlassen, dann wurden die angesagten Musiker im Cadillac angekarrt. Cash fuhr im 500er-Benz vor, sein Sohn am Steuer. Das war ein furchtbarer Anblick: Cash kam kaum aus dem Auto, weil er so fertig war. Ich bin daran kaputtgegangen, weil ich ihn von früher ja so als Monument kannte.

Kunze: Aber er hat immerhin bis zu seinem Tod eine Stimmqualität und eine Melodiösität behalten, die einem Bob Dylan zum Beispiel nicht mehr gegeben ist. Das ist ja wirklich nur noch Gekrächze.

Gabriel: Naja, dann war es bei Cash eben nur noch Brummen. Aber der war ja auch eine ganz andere Figur, zum Beispiel bei den Highwaymen. Neben Jennings und Nelson sah er doch aus wie das Hermannsdenkmal im Teutoburger Wald. Aber zum Schluss war das Charisma weg, Ich bin direkt ins Gras gefallen, so schockiert war ich. Klar war da noch Würde, aber Johnny Cash hast du nicht mehr gesehen.

Heimat

Gunter, Du kommst aus Bünde, Westfalen, Heinz stammt aus dem 20 Minuten entfernten Espelkamp. Eine Gemeinsamkeit?

Kunze: Ich wurde in Espelkamp in einem Flüchtlingslager geboren, das wir einige Monate später verlassen haben – ich stamme also nicht wirklich von dort. Ich komme aus dem Osten, von der polnischen Grenze, und bin während meiner Kindheit sehr oft im Westen umgezogen. Ich bin schon eine deutsch-deutsche Existenz, ähnlich wie Biermann, weil ich große Teile meiner Ferien in der DDR verbracht habe, um meine Oma zu besuchen. Ich kenne also beide Deutschlands ganz gut, obwohl man als Kind natürlich nicht so den Überblick hat. Heimat ist für mich der deutsche Sprach- und Kulturraum, (zu Gabriel) Wie ist es denn bei dir? Du hast doch im Gegensatz zu mir ein paar Wurzeln, eine Herkunft.

Gabriel (wird leiser): Also, pass auf, ich komme zwar gebürtig aus Bünde, und ich will auch nichts gegen Bünde sagen, aber ich hab natürlich eine Jugend gehabt, die war einfach scheiße. Durch meine ganzen Probleme habe ich gelernt, mich überall zu Hause zu fühlen, aber diesen engeren Heimatbegriff kenne ich nicht. Ich sage immer, Deutschland ist mein Wohnzimmer, ich kenne mich bestens aus. Das kommt durch den Song: „Boss, ich brauch mehr Geld“ hat alle Türen aufgemacht. Ich kann in Deutschland in jede Kneipe kommen und werde mit offenen Armen in Empfang genommen. Wenn ich übern Rhein komme, nach Straßburg, dann bin ich verloren. (Zu Kunze) Du hast ja was Ähnliches drauf wie ich, nämlich: Steh zu deinem Stück Erde, auf dem du geboren bist. Dieses Patriotische in Anführungsstrichen, das hab ich noch mehr als du. Vielleicht übertreibe ich es sogar mit meinem Amerikanismus, den ich mir angeeignet habe.

Kunze: Das Schöne an unserem Beruf ist, dass wir Deutschland wirklich kennen. Man nimmt diese Unterschiede zwischen Kaiserslautern und Stralsund und zwischen Emden und Bad Reichenhall Jahr für Jahr miterlebt und genießen kann. Deshalb bin ich auch ein Fan der Regionalität. Ich finde diese verschiedenen Mentalitäten sehr reizvoll.

Gabriel: Ich brauche ja nur meine Klampfe, dann erreiche ich die Leute. Ob ich vor 5000 Leuten spiele oder vor 20 – nach ein paar Songs flippen die aus. Solange ich das kann, bin ich hier in Deutschland gut aufgehoben.

Wir hören einen Song von Gabriels „German Recordings“. „Ich bin ein Nichts“ ist die deutsche Übertragung von Radioheads „Creep“. Bei Gabriel wird aus der angst-Hymne eine bittere Lebensabrechnung und düstere Reflektion auf Versäumnis und Vermächtnis. „Nach 67 Jahren / Und 24 Tagen/ Was hab ich erreicht/ Was hab ich, was bleibt/ Handvoll Kinder, Handvoll Frauen/ Verletzt und abgehauen/ Was muss man schaffen/ Was hinterlassen/ Ich bin ein Nichts/ Ich bin ein Niemand.“ Während das Lied läuft, beginnt Gabriel zu erklären, und die Gefühle schwappen über – fast meint man, er würde größer werden, so intensiv ist die Selbstanklage, die nun doppelt kommt: aus dem Abspielgerät und aus dem Mund des Künstlers.

Glück

Gabriel: Als ich das Lied aufgenommen habe, musste ich weinen. Weil ich auch einfach weiß, dass ich an der Kante bin. Ja, ja, an der Kante. Am Ende meines Lebens. Deshalb ist dieses Lied für mich so wichtig. Was hab ich Arschloch eigentlich gemacht? Gut, ich habe vielleicht ein paar Sachen richtig gemacht. Aber hätte ich das nicht alles viel besser machen können? Hätte ich diese ganzen Fehler nicht vermeiden können? Verstehst du, was bleibt eigentlich über von mir? Das hat für mich eine kolossale Brisanz, und es ist ein Riesenglück, dass ich diesen Song erwischt habe. Da haben sich viele Texter versucht, weil das Original ja ganz anders läuft. Aber der Song musste auf mich passen, ich musste sagen, was ich für ein Mistkerl war. (etwas ruhiger) Darum geht es doch, um solche wahren Momente. Wenn du bei Cash „Bridge Over Troubled Water“ hörst, da gehste doch kaputt dran, da ist Paul Simon doch ein nothing gegen!

Kunze: Vorsicht, Vorsicht. Gabriel: Ich bin ja nicht verblödet. Was ich jetzt sage, hat ja viel mehr Gewicht als früher. Jetzt kann ich den jungen Leuten sagen: Fürchte dich nicht! Verplempere deine Zeit nicht. Fang an zu lesen, meinetwegen die „Bild“-Zeitung. Alle meine Töchter haben ’ne gute Grundausbildung gehabt – dazu gehörte, dass ich ihnen die gesamte Elvis-Sammlung geschenkt habe, 120 oder 130 Alben. Als Vater war ich ein Versager, war nie da, bin fremdgegangen, habe Scheiße gebaut. Ich hatte Nachholbedürfnis – heute weiß ich, warum das so war, jaja, ich habe nie die Brust meiner Mutter gespürt, mein Alter war ein Schläger. Das ist doch richtig gut, dass ich darüber jetzt reden kann.

Es folgt eine ausführliche Unterhaltung über Hemingways „Der alte Mann und das Meer“, ein Lieblingsbuch Gabriels. Man müsse immer dran bleiben und seinen Erfolg ins Boot ziehen, sagt er. Was ist der große Fisch im Leben von Gunter Gabriel? „Dass die Leute meine Songs hören wollen. Wenn ich auf der Bühne stehe, brauche ich keinen Psychiater mehr.“ Kunze hingegen will sich nicht auf einen Fisch beschränken, sondern jagt lieber den silbernen Heringsschwarm.

Kunze: Glück ist, wenn etwas gelingt. Ein Applaus, ein Text, ein Lied. Dieses Glück hält nicht lange an, man muss es sich immer wieder holen. Es macht süchtig.

Gabriel: Ich habe keine Fähigkeit, glücklich zu sein, das habe ich mir inzwischen von diversen Psychiatern bestätigen lassen. Aber ich kann mit Unglück gut umgehen, weil ich in meinem Leben so viel mit Problemen zu tun hatte, seit ich mit 14 allein auf der Straße stand. Mein Vater hat mir ’nen Tritt in den Arsch gegeben, und draußen war ich, allein. Ich hatte Volksschule, ich hab mein Abitur nachts nachgeholt, ich hab Maschinenbau studiert, um meinem Vater zu zeigen, dass ich was wert war. Ich hatte immer den Druck, etwas beweisen zu müssen, immer und immer. Das hat erst aufgehört, als ich pleite war. Als ich zehn Millionen in den Sand gesetzt hatte, hatte ich plötzlich keine Magengeschwüre mehr. Ich war frei, ich brauchte keinen Hit mehr schreiben. Ich habe in meinem Wohnwagen gelebt, es war großartig. Dazu die Mädels, die mir auf den Schoß sprangen – die fanden das gut, diese Freiheit. Aber letzten Endes kann ich nichts halten, das ist mein Problem. Ich lebe im Moment in so einer verrotteten Werft, weil mein Hausboot im Trockendock liegt. Wie kann man da leben! Aber der Geruch von Bohröl, und wie die Arbeiter da schon morgens die Wände rausflexen – herrlich, da fühle ich mich wohl. Ich bin da nicht glücklich, aber ich fühle mich aufgehoben. Ich kann mich einrichten, aber dieses richtige private Glück, das hatte ich nicht wirklich.

Ich habe niemals damit gerechnet, dass ich noch mal wieder an den Start komme, mit einem Deal und so. Ich bin jetzt relativ zufrieden, das kann ich sagen. Aber Glück, das ist ein großes Wort.

Hits Wir hören „Glaubt keinem Sänger“, Kunzes Abrechnung mit Künstlerverherrlichung von dem 1984 erschienenen Album „Ausnahmezustand“. Kunze hatte damals seine Gefolgschaft bereits beisammen, der massenfähige Pop war nur noch eine Umbesetzung entfernt. Gabriel lässt sich von Kunze den Inhalt des Liedes erklären und lauscht der clever formulierten Lyrik.

Gabriel: Donnerwetter, lauter kluge Sätze. Wo haste denn die alle her? Bestimmt von Bob Dylan.

Kunze: Nein, mein lieber Gunter, ich bin Literaturwissenschaftler von Beruf.

Gabriel: Das hast du studiert? Jaja, du bist mir voraus.

Kunze: Als ich das Lied geschrieben habe, hatte ich so eine Art Hardcore-Studentengemeinde und war eine Art norddeutscher Niedecken. Wegen des Liedes haben mich viele Leute erschüttert angesprochen, ob ich das denn ernst meine. Ich habe mir dann ziemliche Sorgen über die Humorlosigkeit eines Teils meines Publikums gemacht.

Kurz danach kam der große Erfolg mit „Dein ist mein ganzes Herz“ und einer Reihe weiterer Hits. War das eine unerwartete Wendung oder die Erfüllung eines Plans?

Kunze: Beides. Das konnte nicht gehen ohne Heiner Lürig, der damals in die Band kam. Er hatte den Ehrgeiz, meine Studentenklientel zu erweitern und mich popfähig zu machen. Das war sein Plan und mein Wunsch. Und das ist ja auch aufgegangen. Er hat gesagt, du musst aus dieser Öko-Nische raus, du kannst mehr erreichen. Das hat er als Zuchtmeister unserer Band wirklich eisern durchgesetzt. Seitdem gilt: Wenn ich ein Pop-Album mache, möchte ich, dass es möglichst viele Leute erreicht.

Gabriel: Ich bin ja anders als du, Gott sei Dank. Ich möchte, dass die Leute meine Songs nicht im Ohr, sondern auf der Zunge haben, so hat Pete Seeger das mal gesagt. Ich möchte Themen haben, die die Leute gern mitsingen.

Kunze: Für mich waren die Achtziger die erfolgreichste Zeit, jetzt spiele ich in der zweiten Bundesliga. Aber solange ich noch Säle wie den Schlachthof in Dresden mit 3000 Leuten voll kriege, kann ich mich nicht beklagen.

Gabriel: Wenn’s noch schlechter wird, brauchst du einen guten Song von Gabriel.

Kunze: Das Problem ist doch auch, dass die Medienwelt so zersplittert ist. Unsere letzte Single, „Längere Tage“ vom Album „Protest“, war Platz 2 in den deutschen Airplav-Charts, wir haben viel Fernsehen gemacht. Und trotzdem kommen Leute auf der Straße zu dir und fragen: Sagen Sie, machen Sie eigentlich noch Musik? (allgemeines Gelächter) Das war früher anders: Wenn du bei Jürgen von der Lippe aufgetreten bist, konntest du sicher sein, Deutschland hat das gesehen.

Gabriel: Neulich bin ich sogar bei meinem Schlachter mit Mike Krüger verwechselt worden. ,Herr Krüger, gestern waren sie aber nicht gut im Fernsehen.‘ Ich sach, mein Gott, jetzt hole ich hier seit fünf Jahren meine Wurscht, und Sie wissen immer noch nicht, wer ich bin.

Quote 1996 war Kunze Sprecher einer Initiative, die als „Deutschrock-Quote“ etwas verkürzt in die Geschichte eingegangen ist. Da sollte dem bundesdeutschen Radio ein Anteil deutschsprachiger Musik diktiert werden, eine Art Schutzwall gegen den englischsprachigen Kulturimperialismus.

Kunze: Ich hab mich damals als Klassensprecher in die erste Reihe schubsen lassen, von vielen Kollegen, die das unterschrieben haben. Ich hab intern davor gewarnt, aber man hat mir nicht geglaubt. Ich sollte es dann verkünden und hab’s auch gemacht. Ein paar Jahre später, als ich in der Enquete-Kommission („Kultur für Deutschland“) im Bundestag saß, wollten es dann über 600 Kollegen noch mal wissen, und ich habe sie – wohl meine größte Leistung in dieser Kommission – zu einem Hearing in den Bundestag einladen dürfen. Ich habe dann noch mal gesagt, dass ich nicht wieder in die erste Reihe gehe und Prügel für diesen Blödsinn kassiere. Inzwischen hat sich das Problem erledigt. Die Generation nach uns hat einfach gesungen, gerappt oder gehiphopt, wie ihr der Schnabel gewachsen ist.

Gabriel: Aber kam es nicht auch deshalb, weil wir gute Vorbilder waren?

Kunze: Schön, dass du das sagst und nicht ich. Gabriel: Wobei es im deutschen Country natürlich nicht die Entwicklung gab wie in der deutschen Rockmusik. Da ist alles bei Tom Astor und Truck Stop hängen geblieben. Nur Schlager mit Steel-Guitar, das ist mir zu wenig, Ein bisschen Revolution muss schon drin sein. Aber ich werde da ja auch nicht mehr wirklich wahrgenommen.

Kunze: Vielleicht hast du mit deiner neuen Platte die Gelegenheit, das Bild etwas zu korrigieren.

Gabriel: Ich freue mich darüber, dass z.B. die Punks mich nicht als Schlager-Typen sehen, sondern dass sie auch meine rebellischen Lieder hören. Die kommen mittlerweile sogar zu meinen Konzerten.

Epilog

Gabriel: Heinz… ich darf eigentlich nicht Heinz zu dir sagen.

Kunze: Warum nicht? Gabriel: Mein Vater hieß Heinz, und der war ein Arschloch.

Kunze: Dafür kann ich nichts. Aber nenn mich doch Arthur, das ist mein vierter Taufname, den fand ich sowieso immer besser.

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