Den eigenen Regeln folgen
Als Galionsfiguren des Neo-Punk wollen sich Green Day nicht mehr sehen, und eine neue Botschaft haben sie jetzt auch: Denken statt wüten
Das schmucke Hamburger Hotel, in dem Green Day zum Gespräch bitten, um ihr neues Werk „Warning“ zu bewerben, passt so wenig zu den Punkrock-Herren wie eh und je. Billie Joe Armstrong, Mike Dirnt und Tre Cool fläzen sich einigermaßen gelangweilt an einen schnieken runden Tisch, den sie mit allerlei Soft-Getränken und Comic-Kritzeleien in die standesgemäße Unordnung gebracht haben – das Chaos im System ist schließlich ein Kernprinzip ihres Genres, und das ist Green Day noch immer heilig. „Wenn du denkst, dass Punkrock tot ist, heißt das nur, dass du nicht weißt, wo er lebt“, sagt Mike triumphierend. „Die Szene ist so lebendig und integer wie noch nie, auch wenn der Begriff lnzwischen von jedem gebraucht wird.“ Aus dem Mund des Green Day-Bassisten ist ein solches Statement überraschend, schließlich hat das kalifornische Trio selbst so einiges zur Verwässerung der Grenzen beigetragen: Stolze zwölfmal Platin gab’s für das ’96er-Album „Dookie“, und seither kann jeder Musikkonsument Punkrock eigentlich ganz gut leiden. „Es hat mich immer beleidigt, wenn man uns zur Galionsfigur des sogenannten Revivals machen wollte“, wehrt sich Billie Joe, „schließlich waren da noch viele andere hervorragende Bands.“ Das klingt fast wie eine Entschuldigung. „Naja“, versucht Mike eine Erklärung, „wir waren doch alle Teil der selben Szene, haben Tapes von unbekannten Bands getauscht und, naja…“ „Viele von diesen Bands“, hilft Billie Joe, „fühlten sich halt betrogen.“
Es ist Billy überlassen, die Statements seiner Kollegen auf den Punkt zu bringen. Wenn der Songschreiber, Sänger und Gitarrist spricht, neigen Mike und Tre wie auf Kommando die Köpfe, um sich besagten Kritzeleien zu widmen, die das leidige Werbegespräch wohl erträglicher machen. „Ob wir nun Erfolg haben oder nicht“, erläutert der Anführer mit fester Stimme, „was passiert, passiert nach unseren Regeln. Wir können nicht irgendwem in den Arsch kriechen, um irgendwo hinzukommen.“ Heute wundert sich Billie Joe über seine frühere Apathie. „Wenn ich die „Dookie‘-Texte angucke“, analysiert er, „entdecke ich einen recht depressiven Typen.“
Eben dieser schlaffe, verwirrte Antiheld, den Armstrong im Hit „Basket Gase“ entwarf, prägt seither die kollektive Identität des US-College-Punks freilich mehr als alles andere. „Das stimmt“, bestätigt Billie Joe, „aber ich bin jetzt in der Lage, meine Wut und Verletzlichkeit in etwas Positives zu verwandeln.“ Nun reckt sogar Tre kurz den Kopf. „Wir verwandeln sie in positive Kraft“, sagt er und nickt dazu – übers eigene Fortkommen sind sich Green Day einig. „Wir wollen den Leuten mit dem neuen Album nicht sagen, was sie denken sollen“, sagt Mike energisch, „sondern dass sie denken sollen.“