Den Budenzauber von Rammstein gibt es nun auf Platte und als Video. Die Morde von Littleton waren da unerwünschte Promotion
Eric Harris und Dylan Klebold, die Amokläufer von Littleton, schrieben in ihr Tagebuch: Bitte macht niemand anders als uns für die Tat verantwortlich. Wir wollen es auf diese Weise beenden.“ Damit ist eigentlich alles gesagt. Die beiden waren – wie es vor Gericht so treffend heißt – im Vollbesitz ihrer geistigen Kräfte.
Und doch werden die Medien nicht müde, einen Dämonen zu beschwören. Sein Name ist, seit Elvis vor mehr als 30 Jahren lasziv mit den Hüften wackelte, Rock’n’Roll. In Amerika wurde der Schock-Rocker Marilyn Manson fürs Massaker an der Columbine High als mörderischer Verführer ausgemacht. Genau wie die deutschen Proto-Bösewichte von Rammstein, die ein sensationsgeiles Berliner Blatt unmittelbar nach dem grauenhaften Ereignis endgültig verboten wissen will. Müssen sie verboten werden? Keyboarder Flake (der sich in Konzerten oft bücken muß und gerne Boot fahrt) lächelt grimmig: „Wir haben nie jemanden dazu aufgefordert oder dazu angeregt, irgendwelche Gewalttaten zu begehen. Das ist unser offizielles Statement, und damit ist der Fall für uns auch erledigt. Warum soll man sich auf so ein niedriges Niveau begeben und darüber reden, ob Rock’n’Roll böse ist. Das hatten wir schon bei uns im Osten, wo Ulbricht die Beatmusik verbieten wollte, mit der wirklich interessanten Begründung, sie würde nur die Jugend von innen her aufweichen. Also muß man 1999 darüber wirklich nicht mehr reden.“
Zumal der ungebetene Rummel die Promotion-Aktivitäten der Berliner Truppe stören könnte. Mit ihrem Album- und Video-Paket „Live aus Berlin“ wollen Rammstein, die auf dem Cover brav gescheitelt auf Comedian Harmonists machen, endlich ihr Ziel erreichen: Normalität. Flake formuliert das so: „Es ist ein bißchen wie im Fernsehkrimi: Der Verdächtige bleibt der Verdächtige, egal, was er sagt oder tut Bis am Ende aufgelöst wird, wer’s wirklich war. So geht’s uns halt auch. Wir können nur hoffen, daß die Zeit auf unserer Seite ist und die Leute irgendwann begreifen, daß wir eine unpolitische Rockband sind – und sonst absolut gar nichts.“
Doch da ist kein Licht am Horizont zu bemerken. Reißerische Schlagzeilen wie jene aus der „BZ“ zeigen, daß in Deutschland noch immer die Zeit still steht, gerade wenn es um vermeintlich faschistische Symbolik und triebhafte Gebärden in der Rockmusik geht. Man stelle sich nur vor, Rammstein wären eben kein Rock-Act, sondern eine provokante Inszenierung an einem modernen und renommierten Theater. Posen, Schweinereien, pathosbeladene Gesten – alles, was bei einer Rammstein-Show jenes unangenehme Mißtrauen verursacht, wäre in diesem Kontext über jeden Verdacht der Verherrlichung von rechter Gesinnung erhaben. Der Regisseur würde vermutlich sogar gelobt für seine satirischen Mittel, seine Kritik an den Mief des deutschen Spießertums. Ein lustiges Gedankenspiel.
Doch irreal. Denn Rammstein, die verfemten, dämonisierten Kreuzritter des Teufels, diese braunen Barden und Teutonen-Rocker, verfugen auch nach fünf Jahren im Rampenlicht der Musikszene noch nicht mal im kleinsten Ansatz über die nötige Tiefe, um jedwede Interpretation zuzulassen. Rammstein spielen mit den Symbolen wie kleine Kinder mit Schlaftabletten von Mama. „Als wir anfingen“, erzählt Hake, „haben wir uns im Übungsraum getroffen wie zu einer Therapiegruppe. Wir waren unserer alten Bands überdrüssig und hatten auch keinen Bock mehr auf Fun-Punk. Also haben wir damit angefangen, etwas herumzublödeln. Ein Gag gab den anderen – wir hätten niemals damit gerechnet, daß dies alles jemandem außer uns gefallen könnte. Und als wir zum ersten Mal in einen Zusammenhang mit braunen Symbolen gebracht wurden, glaubte ich zuerst, die reden über eine ganz andere Band.“ Sätze wie diese spult Flake nur noch ab. Er hat sie immer und immer wieder gesagt, landauf, landab, geduldig gepredigt, so als spräche er zu einem kranken Pferd. Vergebens. Natürlich kann man Ramm stein Blauäugigkeit vorwerfen, sie daher vielleicht sogar der Verantwortungslosigkeit bezichtigen. Doch wer will schon ernsthaft eine Rockband zu einer moralischen Instanz erheben?
Eric Harris und Dylan Klebold hatten in ihren Platten-Sammlungen neben Marilyn Manson, Rammstein und KMFDM auch U2 und Bruce Springsteen stehen. Vielleicht war es ja auch bloß „Born In The USA“, was sie zu ihren Schreckenstaten inspiriert hat…