Den 13 erfolgreichen Jahren bei Soundgarden trauert Chriss Cornell nur ein bischen nach, denn jetzt hat er den Solokünstler in sich entdeckt
Warum nur wollen die Leute im Sommer kältere Räume als im Winter? Warum muss man in L. A. mit Jacke in Kino gehen, wenn es draußen 40 Grad sind?“ Das sind die Fragen, die Chris Cornell beschäftigen. Chris hasst Air-condition.
Doch trotz der kaputten Klimaanlage, die seiner Suite nur eine Temperatur von 18 Grad zugesteht, zittert sich der Ex-Soundgarden-Sänger gutgelaunt von Interview zu Interview und erzählt mit bebender Stimme stolz von seinem Solo-Debütalbum namens „Euphoria Mourning“.
Wenn es um die Gründe geht, warum sich Soundgarden nach 13 Jahren 1997 trennten, faselt Cornell etwas von „Erfolgsdruck“ und „zu vielen Verpflichtungen“ in seinen Ziegenbart, um dann festzustellen, dass es für ihn natürlich leichter sei, als Solokünstler weiterzumachen. Er zerstört die Illusionen fast aller Hardrock-Gitarristen: „Egal, was irgendwer sagt, man wird immer mehr auf die Stimme hören und sich damit identifizieren als mit irgendeinem Instrument“ Dass Cornell von Grunge gar nichts mehr wissen will, und als Singer/Songwriter zurückkehrt, war abzusehen. Er besteht allerdings darauf, dass er „immer noch Rock“ macht, nur heute eben keinen Hardrock mehr – und „in mancher Hinsicht sogar Pop“. Oder auch mal Blues. Oder 60s-Karikaturen. „Zuerst habe ich die anderen schon vermisst, weil im Studio keiner da war, der mir seine Meinung zu den neuen Songs sagte. Aber dann habe ich mir eben andere Leute gesucht und mit denen weiter gearbeitet. Es war ja sowieso ein Wunder, dass Soundgarden so lange durchgehalten haben. Ich bin dankbar für diese Zeit, aber auch sehr zufrieden mit meiner jetzigen Situation als der allein Verantwortliche.“ Kompromisse musste er nicht mehr eingehen, miss mutige Kollegen störten nicht länger seine Kreativität Cornell hatte endlich genug Ruhe, um sich aufs Wesentliche zu konzentrieren: seine Schwächen auszubügeln.
Mit dem Texten hat er sich mehr Mühe denn je gegeben. Wer – bei aller Klangschönheit – nie verstanden hat, was „Black Hole Sun“ eigentlich bedeutet, hat jetzt vielleicht mehr Glück. „Lyrics fielen mir immer sehr schwer. Ich habe früher einfach irgendwelche Bilder erfunden, die zur Musik passten. Diesmal wollte ich Geschichten erzählen, sinnvollere Sachen.“ Er wundert sich selbst, dass ihm das gelungen ist „Wenn du lange genug mit einem Stift in einem Zimmer sitzt, fällt dir wahrscheinlich irgendwann einfach etwas halbwegs Vernünftiges ein.“ Neben vielen Liebesliedern fällt „Preaching The End Of The World“ auf, das sich um die Jahrtausend wende dreht.
Bei dem Wort „Millennium“ fängt Cornell zwar auch schon an zu gähnen, was ihn aber nicht daran hindert, seine eigene Theorie zu verbreiten: „Meine Mutter ist Numerologin. Sie ist besessen von Zahlen, und wenn du erst einmal daran glaubst, erfüllen sich deine Prophezeiungen oft auch. Es ist wie mit Tarot-Karten: Du glaubst so fest an die Wahrsagung, dass du die vorhergesagten Dinge passieren lässt“ Er hofft allerdings inständig, dass alle Schwarzseher unrecht haben: „Das Ende der Welt würde natürlich auch mein potentielles Publikum entscheidend verkleinern.“ Aha, auch ein triftiger Grund.
So ganz unter Ausschluss der Öffentlichkeit will Chris Cornell also auch nicht musizieren. Wo aber zieht er die Grenze? Bei Soundgarden war es zu viel des Guten, jetzt fürchtet er um die Gunst der Hörer. Wie viel Erfolg darfst denn sein? Auch hier bleibt seine Antwort vage, leise in den Raum gesprochen, mit den blassgrünen Augen zu Boden blickend und an einer Zigarettenspitze saugend: „Der Erfolg besteht aus vielen faszinierenden Momenten und Möglichkeiten, schafft aber auch unzählige Probleme: verrückte, besessene Fans, keine Zeit mehr für Familie und Freunde etc. Wenn das wegfiele, wäre das sicher auch eine Erleichterung. Egal, was passiert, ich werde immer sagen: Meine lasse ist halb voll. Halb leer liegt mir nicht“ Sagt’s und freut sich – inzwischen am ganzen Leibe zitternd – auf das andere Zimmer, das er gleich beziehen darf: „Dann kriege ich doch keine Lungenentzündung. Wunderbar.“