Dem Teufel von der Schippe gesprungen
In den 50ern galten The Louvin Brothers als ultra-orthodoxe Rednecks. Ein Wunder, dass sie heute von den Propheten der Hipness wiederentdeckt werden.
Der alte Herr saß gerade an seinem Computer, als eine E-Mail des Cake-Managements eintraf: Ob er, Charles Louvin, nicht Lust habe, auf der „Unlimited Sunshine Tour“ zu spielen, zusammen mit Cake, Cheap Trick und den Detroit Cobras? Obwohl er nur „slightly familiär“ mit der Musik von Cake gewesen sei, war für Charlie Louvin die Sache sonnenklar. „Ich habe die Herrschaften mit meiner Antwort jedenfalls nicht lange auf die Folter gespannt.“
Das war im letzten Herbst, und als der 76-Jährige erstmals auf die Bühne ging, „hatte ich Gummi in den Knien. Ich stellte mir vor, wie ich hinters Mikro trete, meine alten Redneck-Kracher anstimme und die jungen Leute schreien: ‚Get that crap off the stage!‘ Aber Wunder über Wunder: Es passierte nicht.“
Das nächste Wunder geschah Ende Januar. Bei den Grammys wurde „Livin‘, Lovin‘, Losin‘ -The Songs Of The Louvin Brothers“ zum besten Country-Album des Jahres gekürt – was sicher auch dadurch erklärbar ist, dass die gesamte Country-Elite geschlossen zum Ständchen antrat: Von Merle Haggard bis Rodney Crowell, von Dolly Parton bis Linda Ronstadt, von Glen Campbell bis James Taylor – alle waren sie zur Stelle, und selbst Johnny Cash steuerte kurz vor seinem Tode noch eine Sprechpassage zu „Keep Your Eyes On Jesus“ bei.
Der Soundtrack zu „0 Brother Where Art Thou“ drei Jahre zuvor ebenfalls Grammy-prämiert, dürfte für die Initialzündung verantwortlich gewesen sein: Nicht der modische Nashville-Tand, sondern der puristische Stoff der Großväter war plötzlich hip. „Als ich die Louvin Brothers entdeckte“, erinnert sich Gillian Welch, „steckte ich gerade in meiner Punk-Phase. Bei den Louvins hörte ich die gleiche brutale Ehrlichkeit.“ Und John McCrea von Cake, den Charlie inzwischen respektvoll „the boss“ nennt, attestiert den Louvin-Songs „eine Reinheit und Integrität“, die ihn fasziniert habe.
Ira und Charles Loudermilk, in Alabama auf einer Baumwollfarm geboren, begannen mit dem Singen, als Hank Williams, der andere berühmte Sohn des Staates, gerade die Gitarre endgültig abgab. Anders als der „Drifter“, den weltlichen Freuden nie abgeneigt, predigten die Louvins, wie sie inzwischen hießen, den reinen weißen und fundamentalen Gospel. Sünde und Vergebung war ihr primäres Sujet, und als sie auf Drängen von Capitol sich auch an weltlichen Popsongs versuchten, nahm das Drama seinen Lauf. Ira, wie sein Bruder tief-religiös, mochte sich den Flirt mit dem säkularen Moloch nicht verzeihen und griff zur Flasche. Mehr als einmal zertrümmerte er – lange vor Pete Townshend – auf der Bühne seine Mandoline und scheute selbst vor einer lautstarken Konfrontation mit dem King nicht zurück: Als Elvis ihnen nach einem Auftritt gratulierte und beteuerte, wie sehr er Gospelmusik liebe, bellte Ira ihn an, warum er in Gottes Namen dann diesen hündischen Rock’n’Roll spiele.
Die innere Zerissenheit und Selbstzerfleischung fand ihre bizarre Manifestation im Album „Satan Is Real“ (1960), das inzwischen – als Gipfel des Cover-Kitsches – gerade bei Hipstern eine gesuchte Seltenheit geworden ist. Eigenhändig hatte Ira einen Beelzebub aus Sperrholz gefertigt und vom nahen Schrottplatz die Reifen geholt, die dann zum finalen Fegefeuer in Brand gesetzt wurden.
Doch das Purgatorium war vergebens, zumindest für Ira. „Er war“, sagt sein Bruder heute, „ein miserable man, der sich selbst das Leben zur Hölle machte.“ Dass ihm seine dritte Frau dreimal in den Rücken schoss, überlebte er noch. Doch schon wenig später kam er, zusammen mit seiner vierten Frau, bei einem Autounfall ums Leben. Es war ein teuflischer twist of fate, dass diesmal nicht Ira, sondern der Fahrer des entgegenkommenden Wagens betrunken war.
Charlie machte alleine weiter – und geht auch heute noch mit seiner eigenen Band regelmäßig auf Tournee -, doch die engelsgleichen Harmonien, die er mit seinem Bruder sang, waren unwiderruflich dahin. „Man kann mit einem Fremden noch so viel proben und wird doch nie dieses blinde Verständnis haben. Ich wusste genau, was Ira tun würde, bevor er es tat. Und er wusste instinktiv, in welchen Höhen ich mit meiner Stimme Probleme bekam. Genau in dem Moment, oft mitten in einem Wort, übernahm er die Leadstimme, während ich in die tiefere Lage zurückging. Sowas hatten die Leute noch nie gehört. Und der Mann, der unsere Songs aufs Notenpapier brachte, raufte sich immer die Haare, weil er nie wusste, wie er die beiden Stimmen auseinanderhalten konnte.“
Die hohe Schule des Harmoniegesangs besucht Charlie Louvin aber auch heute noch. Seit einhundert Jahren trifft sich die Familie mütterlicherseits zum alljährlichen Sing-out in den Sand Mountains von Alabama. „Sie fangen morgens um 8 Uhr an und singen bis mittags. Dann wird gegessen und darüber gesprochen, wer inzwischen gestorben ist und wer vielleicht nächstes Jahr nicht mehr dabei ist. Dann wird wieder drei Stunden gesungen, ohne jede musikalische Begleitung.“
„Ich schalte immer meinen Ghettoblaster an und nehme es auf. Es ist eine aussterbende Spezies, weil niemand der jungen Leute noch lernen will, wie man so singen kann. Sie singen den ganzen Tag, das Essen wird auf den Boden gestellt, die Whiskeyflasche in die Büsche – und der Teufel schleicht derweil unverrichteter Dinge ums Haus herum.“