Travis fehlt es an Image, Sprüchen und Berechnung.
Dem schottischen Quartett Travis fehlt es an Image, Sprüchen und Berechnung. Den Außenseitern geht es bloß um gute Songs - und davon gibt es reichlich auf ihrem zweiten Album
In Glasgow hält sich ein Menschenschlag, der anderswo längst unter die Räder der Evolution gekommen wäre. Gerade, offen und unverstellt Stur in der Spur, Lagermentalität, aber wenn das Herz spricht, hat der Humor das Nachsehen. Im Fußball zum Beispiel. Von allen hirnverbrannten Vereinsrivalitäten ist die zwischen Celtic und den Rangers die bodenloseste und bizarrste. Wenn ein Derby ansteht, setzt der kollektive Verstand in dieser Stadt vollkommen aus. Es ist wie im Balkan nach Tito. Nachbarn und Freunde sind plötzlich keine mehr, sofern sie nicht die eigenen Farben tragen. Bis nach dem SpieL Dann füllt man sich ab. Am übernächsten Tag nimmt das Hirn seine Tätigkeit wieder auf, die mit der Muttermilch eingesogene Freundlichkeit gegenüber jedermann gewinnt wieder die Oberhand, und das einzige, was der Glaswegian jetzt noch haßt, ist Getue und Falschheit. Wichtigtuerei und Unaufrichtigkeit sind auch den Jungs von Travis fremd, aber sonst sind sie Fremdkörper in dieser Stadt Immer gewesen, schon damals, als sie einander noch gar nicht kannten. In der Schule schikaniert, weil sie kleiner waren als die anderen, ängstlicher, langhaariger, nicht an Sport interessiert, schlüpften sie als Kinder in einen Kokon, der sie vor Dummheit und Aggression schützte. Musik bewahrte vor Isolation, wahrte Hoffnung. Kein Wunder, daß sie unzertrennlich sind, seit sie sich kennen. „Travis ist die erste Gang, der wir angehören“, sagt Bassist Dougie Payne, „und es ist ein herrliches Gefühl“ Die Runde nickt. „Und das Schöne daran ist“, ergänzt Gitarrist Andy Dunlop, „daß wir unsere Freundschaft nicht darüber definieren, was wir ablehnen, sondern was wir lieben.“ Und das wäre? „Good songs“, tönt es im Chor. Gute Songs also. Und: Vier Freunde müßt ihr sein. Was für ein absurdes Konzept in einem Geschäft, in dem nur eine Chance hat, wer seine Talente marktschreierisch an den Mann bringt und weiß, wie man eine Werbetrommel auch entsprechend malträtiert. „Kein Scheiß-Konzept!“, flucht Sänger Francis Healy, Juck, we do it our way.“ Mit Anstand und Integrität. Oder gar nicht. „Ich weiß“, räumt er grinsend ein, „daß das an Schizophrenie grenzt Rock’n’Roll ja, aber ohne in eine dieser Rollen zu schlüpfen, die zur Auswahl stehen. Die Sache mit der Stammeszugehörigkeit. Das überlassen wir andern.“ Man kann sich vorstellen, wie die britische Musikpresse mit diesen Boys umspringt Travis sind ein gefundenes Fressen für Zyniker und die vielköpfige, kopflose Zunft der Trendschreiber. Langweiler seien die Schotten. Zuwenig Image, zuviel Instinkt Der „NME“ mokierte sich in gespielter Entrüstung: „Travis are nice. They write good songs. They want to make people happy. What kind of freaks are they, for God’s sake?“ Doch wo Schatten ist, ist auch Licht. Auf kaum einer Band wird dermaßen herumgetrampelt, indessen keine wird so abgöttisch geliebt Die Atmosphäre im Londoner Club Tutu’s, wo Travis geladenen Gästen ihre neuen Songs vorstellen, knistert vor Spannung. Familie, Freunde, Fanclub-Mitglieder. Keine Schwärmerei, sondern vor Ergriffenheit geschlossene Augen. Jeder Song wird zelebriert wie ein Hochamt. Emphase oben, unten totale Empathie. Und am Ende blickt man in selige Gesichter. Eine Feier des Pop, wie er simpler und schwieriger nicht sein könnte: organisch, fließend, schön. Die Melodien sind sublim, die Harmonien himmlisch, der Vortrag glutvoll, die Band wie in Trance, both endsslowly burning. Qualitäten, die Travis weitgehend auf ihr neues Album transferieren konnten. Das war ihnen und Produzent Steve Lillywhite auf der Debüt-LP “ Good Feeling“ nur bedingt gelungen. „Great Feeling“ wäre also der adäquate Albumtitel, doch das von Nigel Godrich (Radiohead) kongenial produzierte Werk heißt „The Man Who“, und die musikalische Tendenz könnte eindeutiger nicht sein: kein Rock, statt dessen wiegende Weisen, melodischer Liebreiz, weiche Knie vom ersten bis zum letzten Track. Erstaunlich für eine Band, deren erstes Lebenszeichen auf Vinyl ein archaisches Feedback-Monster wat „All I Want To Do Is Rock“ hieß die Single, und sie rockte höllischer und härter als jede andere weit und breit „I don’t wanna rock“, singt Healy jetzt in „Village Man“, einem Mid-Tempo-Track, den die Band in letzter Sekunde vom Album nahm und der vermutlich demnächst als Single-B-Seite wieder auftauchen wird. Die restlichen Cuts sind meist langsam und strahlen eine Ruhe und Sicherheit aus, die sich in den Texten indes selten wiederfindet „My inside is outside/ My right side’s on die left side“, singt Fran Healy in „Writing To Reach You“, einem Song über Verlust und Versagen, zwischen Sehnen und kompletter Konfusion. Während beim Hörer jede Defensive bröckelt, stiehltsich der Sänger aus der Affare. Zwei Tage nach Weihnachten habe er den Song geschrieben. Die Heizung habe nicht funktioniert, bei minus 22 Grad. Und so habe er sich unter seiner Dekke vergraben mit einem Buch, das er zum Fest bekommen hatte. Franz Kafkas Briefe an Feiice. Daher die heillose Verwirrung, erklärt er etwas verlegen. Liebe und Haß, da könne man sich schon mal verlaufen. Eine Einlassung, die aus dem Munde jedes anderen klingen würde wie pure Prätention, die man Franny aber unbesehen abnimmt. Der Mann ist so authentisch, daß man sich für den leisesten Anflug von Skepsis schämt. Bescheidenheit ist sicher eine Sekundärtugend und nicht einmal eine der nobleren, aber diese Jungs sind so down to earth, daß sie fast abgehoben wirken. Die Zeit zwischen den Alben haben sie mit „swimming, bowling and drinking“ verbracht, sagen sie. Nicht Francis Healy natürlich. Der Song-Magier brütete derweil über neuem Material. Songs wie ein goldener Herbst, der dem schon drohenden Winter ein Schnippchen schlägt. Songs, die wie Traubenzucker ins Blut gehen. Kostbare Songs. Und als Sänger ist dieser Kerl noch eine Klasse besser denn als Songwriter. Ohne Fehl und Tadel ist freilich auch Fran Healy nicht. Dankbar registrieren wir, daß der Begnadete auch ein paar heimliche Hypotheken mit sich herumschleppt. Skeletons in the closet, wie der Brite bildhaft sagt Lassen wir die dunkleren Geheimnisse außen vor. Als Nachweis seiner Fehlbarkeit reicht uns schon sein Geständnis, daß er in jungen Jahren Michael Hutchence verehrt und mit Vorliebe INXS-Platten gehört hat Angenehm auch, daß er sich nicht zerknirscht zeigt oder als reuiger Sünder auftritt. „Na und, so war das damals halt“, gesteht er freimütig, „was hätte ich denn in den 80er Jahren sonst hören sollen?“ Deine Freunde, die Oasis-Brüder Gallagher, würden Dir dafür die Ohren langziehen, gebe ich zu bedenken. Was einen Tumult auslöst Fran stellt Mutmaßungen über die jugendlichen Hörgewohnheiten Noels und Liams an, Dougie und Andy stellen ihre eigenen und, wie sie finden, nicht minder peinlichen zur Disposition, während der Schlagzeuger Neil Primrose ein Szenario entwirft, in dem er den Helden abgibt und die Gallaghers keine sonderlich gute Figur machen. Meine Güte, gerade noch brannten sie auf der Bühne lichterloh, und nun diese alberne, launige Heiterkeit „You see“, prustet Fran Healy überschwenglich. „Travis is a fuckin‘ weird thing.“ Ward and wonderfuL