Dead End Street – The Kinks
Mick Jagger imitierte Mitte der sechziger Jahre den Südstaatenslang, die Beatles parlierten bei „Michelle“ zeilenweise gar Französisch. Doch einer blieb dem verregneten Königreich der Teetrinker und Linksfahrer treu: Raymond Douglas Davies, Sänger, Rhythmusgitarrist und Hauptsongwriter der Kinks, suchte die Themen vor seiner Londoner Haustüre. Und fand eine ganze Menge davon. Er porträtierte den hyperaktiven „Dandy“, den einsamen Eigenbrötler („Afternoon Tea“) und den englischen Spießer („A Well Respected Man“), er thematisierte proletarische Aufstiegsträume („Two Sisters“), oberflächliche Konsum-Kids („Dedicated Follower Of Fashion“) und setzte Londons urbaner Idylle ein Denkmal („Waterloo Sunset“). All dies tat er mit lakonischem Witz, mit Empathie und milder Melancholie, doch manchmal schien auch eine gehörige Portion Sarkasmus durch. Etwa bei „Dead End Street“, jener nüchternen Bestandsaufnahme proletarischer Alltagssorgen: Keine Arbeit, kein Geld, die Küchenspüle tropft und die Heizung ist abgestellt, doch der Mieteintreiber klopft unbarmherzig an die Tür. Die Bewohner von Davies‘ Sackgasse sind „strictly second-class“, haben „no Chance to emigrate“, sie sind überschuldet und fragen sich verbittert nach dem Sinn ihres Daseins: „What are we living for? Two-roomed apartment on the second floor.“ All diese Zutaten hätten einen veritablen Protestsong abgegeben, Stoff zum Nachdenken also, sehr ernst und sehr anspruchsvoll. Dass daraus dennoch ein unterhaltsamer Popsong wurde und der Zeigefinger brav in der Tasche bleibt, liegt am Music-Hall-Flair dieser Unterschichtenmoritat: prototypischer Britpop, bei dem die Rhythmusgitarre stoisch die vier Viertel dengelt, während im Hintergrund eine einsame Posaune klagt. Um die Single zu bewerben, drehten die Kinks gar ein schlichtes Promofilmehen, in dem sie, als Leichenbestatter verkleidet, den armen Teufel aus der „Dead End Street“ in den Sarg legten und durch herbstliche Vorstadtgassen trugen. Was die BBC als „geschmacklos“ empfand und eine Ausstrahlung prompt verweigerte. Auf der grandiosen Single-B-Seite „Big Black Smoke“ geht’s um ein Landei, das in London unter die Räder kommt, und wer von derlei Geschichten nicht genug kriegen kann, der kommt am Album „Something Else By The Kinks“ auf keinen Fall vorbei. 7″-Single (1966)