Daydream Nation – Sonic Youth
Schon auf den Vorgängern „E.V.O.L“ und „Sister“ hatten Sonic Youth ihren experimentell zerklüfteten, kakophonischen Kunsthochschul-Noise-Rock stärker in Mainstream-Bahnen gelenkt. Auf dem Doppelalbum „Daydream Nation“ allerdings geschah das so melodisch bezwingend und suggestiv, wie die Band es bisher nicht wiederholen konnte. Sie transzendierte hier das betont überkandidelte Konzept des Frühwerks, indem sie es ebenso konsequent wie gekonnt in klassische Rock-Strukturen überführte. So entstand ein energetischer, nachvollziehbarer, aber trotzdem komplexer und artifizieller Bastard, der das Beste aus beiden bzw. aus zig Welten vereinte.
„Silver Rocket“ könnte man als Beispiel nehmen: ein nur noch leicht angeschrägter, im Kern straighter, durchaus abgehender Rocksong, der im Mittelteil kurzzeitig, beinahe schon alibihaft von einer Gitarrenschredder-Orgie überlagert wird. Oder das herausfordernd polternde, fuzzige, moderat geschrubbte „Teen Age Riot“, das Thurston Moore im Kontrast zu den Aufrührer-Lyrics mit entspannten, melodieseligen Vocals in Richtung Pop sublimiert. Oder „Cross The Breeze“, ein aufgedrehter Off-Beat-Klopper, der, kurz bevor Kim Gordon aus der Ecke kommt, um zu ihrem betont dilettantischen Shouting anzusetzen, abhebt – mit einer verträumten Sphärenmelodie, die auch der im Hintergrund grantelnde Lee Ranaldo, der sich gerade an der Dekonstruktion eines Gitarrensolos versucht, nicht mehr kaputt machen kann. Und nicht zuletzt das wunderbare „Candle“: Auch hier geht’s zwischenzeitlich mal hübsch schräg in den Schädel, aber die beiden Picking-Gitarren kommen immer wieder zusammen, verweben sich zu einem dichten, komplexen, harmonischen Soundteppich.
„Daydream Nation“ ist eine grandios heterogene Melange aus Punk, New Wave, Sixties Garagen Beat, Hard Rock und Ostküsten-Intellektualismus, immer so harmonisch wie möglich und nur so lo-fi und lärmig wie nötig. Für die erfolgreiche Rezeptionsgeschichte des Albums und seine nach und nach immer größer werdende Akzeptanz bei der Kritik war sicherlich auch nicht ganz unwichtig, dass es seinerzeit noch auf Sonic Youths Indie-Label Blast First erschien. Der Vorwurf der Kommerzialität, den man auch „Daydream Nation“ ohne weiteres machen könnte, wurde folglich erst nach dem Vertragsabschluss der Band bei Geffen und der anschließenden Major-Publikation „Goo“ laut.