David Lynchs Autobiographie „Traumwelten“: Against Interpretation
David Lynch erzählt in seinen Memoiren endlich, wie er vom begabten Maler zum bedeutendsten Vermesser des Unheimlichen in der Gegenwart werden konnte. Eine Zeitreise mit Überraschungen.

Eine Frau läuft am helllichten Tage splitterfasernackt über die Straße und blutet schwallartig aus dem Mund. Das Szenario stammt nicht aus einem Film von David Lynch, sondern eine erschreckende Beobachtung, die der Regisseur als Kind gemacht hat. Für einen Moment stellt man sich als Leser vor, dass das Albtraumhafte in seinen Filmen, Malereien, Fotografien und Soundexperimenten vielleicht doch kein Spiel mit dem Grauen ist, sondern ganz einfach der Realität abgeschaut.
Dafür umso mehr schweißtreibende Dreharbeiten, monetäre Probleme bei der Produktion und gescheiterte Projekte. „Ronnie Rocket“ zum Beispiel. Ein Film, den Lynch ein Leben lang machen wollte – aber nie durfte. Er hätte vielleicht früh, Ende der 70er, nach „Eraserhead“, seine Karriere zerstört, wie die Aufzeichnungen von Kristine McKenna zeigen.
AmazonDavid Lynch kennt keine Pausen zwischen Leben und Kunst
Lynch kommentiert dann seinerseits die vorgelegte Spurensuche, bereichert sie um Anekdoten und Einblicke in seinen Arbeitsalltag; ergänzt wird dies um seltene Setaufnahmen. Interpretationen seiner Werke überlässt Lynch natürlich den anderen. Damit sei es wie mit dem Besuch beim Psychoanalytiker, sagt er. Das sei zwar manchmal ratsam, doch die Konfrontation mit angeblichen Wahrheiten zerstöre eben auch die Kreativität. Und zwar irreversibel.
Wonnen des Alltags
David Lynch legt ganz nebenher auch genügend irritierende Fährten aus, um ihn als scheinbar gewöhnlichen Menschen kennenzulernen, der gerne mit dem Camper in den Urlaub fährt und jeden Morgen eine Grapefruit ist.
Es ist ein wenig wie mit Kafka, dem sich Lynch immer seelenverwandt fühlte: Auch dieser Meister des Unheimlichen hatte ein Leben fernab seiner dunkel-brodelnden Erzählungen, in dem er Tennis spielte und Motorrad fuhr. Man kann es sich nur nicht vorstellen.