David Byrnes sensationeller Auftritt in Berlin: And The Heat Goes On!
Mit seinem Auftritt im Tempodrom in Berlin zeigt sich der ehemalige Sänger der Talking Heads mit einem außergewöhnlichen Konzert-Konzept erneut auf der Höhe seiner Kunst. Ein überwältigendes Erlebnis.
Heiter-melancholisch schaut David Byrne für das Artwork zu seiner aktuellen Tour zum neuen Album „American Utopia“ an der Kamera vorbei. Es könnte der Blick eines saturierten 66-jährigen Mannes sein, der um seinen Platz in den Geschichtsbüchern der Rockmusik weiß. Aber der ehemalige Sänger der Talking Heads, der nicht müde wird, seinem außergewöhnlichen Gesamtkunstwerk etwas Neues hinzuzufügen, ist alles andere als altersmilde und entspannt. Vielmehr ist der bedeutendste Musikintellektuelle Amerikas getrieben davon, seine Songs mit so viel Energie wie möglich aufzuführen. Damit sie weiterleben. Damit sie weiterhin etwas bedeuten.
Bei seinem einzigen Deutschland-Konzert in diesem Jahr im Tempodrom in Berlin demonstrierte Byrne am Mittwoch (27. Juni), wie er sich das vorstellt: als überwältigende Performancekunst mit elf Musikerinnen und Musikern, die jede Sekunde in Bewegung sind und tanzend, mäandernd, rotierend den Groove verkörpern, den der Musiker mit seinen Liedern im Sinn hat. Keyboarder, Schlagzeuger, Percussionisten tragen ihre Instrumente am Körper und irgendwann den Schweiß der hier abgesonderten Rockenergie auf der StirnBarfuß und mit Botschaft
Die Bühne verheißt zunächst alles andere als Aufregung und Dynamik. Silberne Schleier hängen von der Decke. Die Bühne ist nichts als Bühne, mit einem Tisch und einem Stuhl. Beckett-Theater, könnte man meinen. Doch als David Byrne den Saal betritt – barfuß, mit einem Gehirn-Imitat in seiner Hand und einem grauem Anzug bekleidet, wie alle seine Kollegen auf dem Bretterboden – und die Zeilen „Put your hand out of your pocket/Wipe the sweat off of your brow/Now it feels like a bad connection/No more information now“ singt („Here“, aus dem neuen Album „American Utopia“), ist sofort klar, dass der Sänger eine Botschaft übermitteln will: Musik ergibt nur dann Sinn, wenn sie Wirkung haben will, wenn sie die Menschen in Bewegung bringt. Diese Musik tut es und will es auch.
Jene Attitüde, die in einem gebrochen-ironischen Mischverhältnis auch die Post-Punk-Triebenergie der Talking Heads ausmachte, hat an diesem Abend natürlich auch eine politische Dimension. Byrne fordert später amerikanische Besucher in der Arena auf, ihrer Wählerpflicht beizukommen, gerade bei Regionalwahlen. Denn die Macht zur Veränderung beginne im Kleinen. Dass die Welt immer mehr dem Wahnsinn verfällt und sein Präsident daran einen großen Anteil hat, entlockt dem Musiker keinen Hass, wie anderen Kollegen, sondern nur den Wunsch, dass man neue Resonanzräume schaffen sollte für die positiven Dinge in unserer Welt. Das deutet der Sänger zumindest an, auch mit einer wunderbaren Verbeugung vor dem Women’s March in den USA kurz vor Schluss dieses aufreibenden Vortrags.
Jede Menge Songs von den Talking Heads
Der reißt die Zuschauer spätestens mit „Slippery People“ aus den Sitzen. Ja, David Byrne spielt nicht nur Kostbarkeiten aus seinem erratischen Solowerk, das neben Eigenkompositionen Kooperationen mit Brian Eno und St. Vincent ja genauso umfasst wie eine Oper mit Fatboy Slim und mehrere Film-Soundtracks. Er labt sich an den Hits der Talking Heads, stülpt sie mit seinem athletischen Tanz-Orchester um – bläst sie sogar deutlich auf. Dabei entsorgt er vielleicht auch etwas Subtilität. Aber hat man „Born Under Punches“ oder gar „Blind“ jemals so vital und ambitioniert gespielt erlebt? Auf jeden Fall so gut wie noch nie von solch einem überzeugend klaren Sound getragen, der sich bis unter das Zeltdach, wo sich die Reibungswärme der Veranstaltung staut, knackig anhört.
Natürlich werden auch ein paar der „American Utopia“-Stücke untergemischt (insgesamt sind es sieben Tracks), allen voran das herrlich süffige und unbekümmerte „Every Day Is A Miracle“. Aber der Trommelfeuer-Furor der Talking Heads überwiegt. Weil David Byrne, der wieder den verirrten Prediger gibt, der sich nie viel aus der Verehrung vergangener Großtaten gemacht hat, einmal mehr auf der Höhe seiner Kunst ist, die schon seit seinen ersten musikalischen Gehversuchen am College eine der geradezu elektrisierenden Aufführungspraxis ist.
Hier können Sie im Video sehen, was David Byrne zur Zeit auf den Bühnen dieser Welt anstellt:
https://www.youtube.com/watch?v=b9Xi2AdpEDU&t=315s