Dass sie den Blues im Titel führen, ist nicht die einzige Gemeinsamkeit. Ein kleiner Streifzug durch empfehlenserte
Als Philip Marlowc zum ersten Mal die Tür seines muffigen Büros öffnete, voller Melancholie im leeren Zimmer saß und mit einer toten Fliege oder der Old-Forrester-Flasche spielte, da hatte der Blues das Mississippi Delta verlassen und Amerikas Cities erreicht. Okay: Krimis gab’s schon vor ihrer Massenverbreitung durch Pulp Magazines, den Blues vor dem Leiden aufBaumwollfeldem, vor Radio und Phonograph. Doch der Blues, Schmuddelkind aus der Gosse, way oflife der Männer ohne Frauen, in Metropolen nach Mitternacht – der Blues und der Thriller sind seit jeher Blutsbrüder, Leidensgenossen. Aus Anlass einiger Krimis, die den Blues nicht nur im Titel beschwören, hier eine kleine Auswahl literarischer Blues-Variationen, mit denen man in diesem Sommer auf die Reise gehen sollte…
Nicht so sehr ein Whodunnit als vielmehr ein Roadtrip mit kriminellen Elementen ist BARCELONA BLUES (Europa Verlag) von Jürgen Benvenuti. Dem Wiener und Wahl-Berliner geht es in seinem achten Roman, in dem kleine Betrüger andere Betrogene betrügen, um den Groove des Lebens, das, was Kleinkriminelle antreibt, immer wieder nach den Sternen zu greifen. Er wolle, so Benvenuti, „Dialoge, die runterrinnen wie warmer Honig, wie ein Song von Betty Lavette“. Ersteres gelingt häufiger als Letzteres, doch das Tempo stimmt.
Ahnlich jung, weitgereist und im Umgang mit echten Verbrechern unbedarft war Ingvar Ambjornsen, als er 1989 seinen SAN SEBASTIAN BLUES (Edition Nautilus) intonierte. Vernünftigerweise besetzte er ihn nicht mit Berufskillern und Grenzdebilen, sondern mit Normalos, die von Alkohol und Heroin in Unterwelten zwischen Oslo und Spanien flüchten.
Für einen Urlaub auf der iberischen Halbinsel genauso geeignet, im Ton weniger jung und wild, mehr Jazz als Blues, eignet sich der – mit Dizzy Gillespie verfilmte – WINTER IN LISSABON (Rowohlt) von Antonio Munoz Molina. Jazz ist nicht tot“, wusste ja schon Frank Zappa, „er riecht nur ein bisschen komisch“. Entsprechend die Atmosphäre in den Kellern von San Sebastian und Madrid, hier leiden und lieben Männer, die entweder in der Musik nach dem einen Ton suchen – oder im Leben nach dem ganz großen Wurf und göttlichen Frauen. Zeitlos – wie das Knacken von Eiswürfeln in einem Glas Bourbon.
Auf der Suche nach der göttlichen Frau, für die man so einiges machen würde, muss man nicht in die Ferne schweifen. Ein Besuch bei Karstadt am Hermannplatz/Berlin genügt – wie einen der Cyberpunk von Dieter Hombachs BERLIN EVIL112 (Reihe MI Militzke Verlag) erinnert. Nach dem Auftakt („Level One/Spiel starten“) wechselt Tom Betger vom Job in der Neuköllner Games-Abteilung in Traum- & Cyberwelten, Techno-Clubs & Klapsmühlen. Formal ambitioniert, aber nicht jedermanns Tasse Tee, wie der Angelsachse zu sagen pflegt Der alte Angelsachse interessiert uns hier aber auch gar nicht. Wir überqueren lieber den Atlantik, legen vor dem Einschiffen aber noch einen Stopp im zerfallenden Königreich ein. In SOHO BLUES (Aufbau) sind die Noten nasskalt, ist Melancholie auch deshalb so ergreifend, weil nicht gemordet wird, die Angebetene aber so flüchtig bleibt wie die Töne von Coltrane und Ellington. Neil Blackmores Meditation über eine vergessene Ära ist nicht auf dem Level von Ondaatjes BUDDY BOLOENS BLUES, für lange Busfahrten in London – weil die U-Bahn gerade wieder ausfallt – aber empfehlenswert.
An solche Töne ist in Belfast nicht zu denken. Michael Mueller, der Autor von „Die RAF-Stasi-Connection“, entwirft für den BELFAST BLUES (Rowohlt) eine IRA-Stasi-Connection. 1999, am Horizont das Ende des Bürgerkriegs, kommt es zu einem Massaker, dann einem Attentat auf einen Ex-Stasi-Agenten. Es geht um Verrat, Vaterland und die Freundschaft zwischen drei Agenten. Alles total klaustrophobisch, europäisch. Jedenfalls im Vergleich zu den Amis, zu dem clever eingefädelten Rap von Elmore Leonard, der noch mit 70 Jahren Aerosmith backstage besuchte, um sicherzustellen, dass in SCHNAPPT CHILI (Goldmann) nicht nur die Dialoge so sitzen wie die Hemden der Exilkubaner in Florida. Allerdings ist Chili Palmer, der Geldeintreiber aus Miami, in dieser Rock-Story vornehmlich in Detroit unterwegs.
In Florida bleibt Carl Hiaasen, der in LETZTES VERMÄCHTNIS (Goldmann) den seltsamen Tod eines Rockstars untersucht – wie immer souverän, gut lesbar und mit kleinen Sticheleien in Richtung Politik.
Letzer Stopp in Florida, diesmal wieder mehr für Connaisseure: Charles Willefords MIAMI BLUES (Alexander Verlag), der erste Hoke-Moseley-FalL beginnt mit der Ankunft des Psychopathen Freddy Frenger (im Film: Alec Baldwin), der sofort einem Hare-Krishna-Jünger den Finger bricht – was den dermaßen schockt, dass sein Gesang auf ewig verstummt.
Eher softboiled, kompatibel für ältere Semester in unserer Reisegruppe, sind die Thrills aus New Orleans. „The Big Easy“ ist immer einen Trip wert, ohne einen Schmöker von James Lee Burke aber wäre die Reise wie ein Blues mit manikürten Fingernägeln. En passant sei sein BLACK CHERRY BLUES (Ullstein) erwähnt, der dritte Fall von Dave Robicheaux, dem in seinen Moralvorstellungen so angenehmen Nachfahren Marlowes.
Die Reise könnte ewig weitergehen, doch wir Jetten zunächst einmal zurück ins Hinterland. Für POTSDAMER PLATZ (Pulp Master) pflanzt der Gelegenheits-Berliner und „Tatort“-Autor Buddy Giovinazzo ein paar sadistische Russen, Killer aus New Jersey und andere in die Hauptstadt Nach bester US-Manier pfeift er auf originalgetreuen Naturalismus und setzt auf Spannung. Zur Entspannung optimal – und dabei der Wirklichkeit oft näher.
Weiter seht’s im Auto. lean-Patrick Manchette entfuhrt uns in WESTKUSTEN-BLUES (Distel) in die wundervoll seltsame wie bedrohliche s/w-Welt der Siebziger. Ausgezeichnet mit dem Deutschen Krimipreis 2003, Suspense auf französisch, existenzialistisch und unpeu nouveau. Für den ITAKERBLUES (Rotbuch) lässt Tonino Benacquista Paris hinter sich und verwirbelt in seinem Stadt-Land-Blues Träume einer Karriere als Schlagersänger mit dem Leben auf dem Bauernhof… Und wo wir schon auf dem Acker sind, ein kurzer Hinweis darauf, dass Jacques Berndorfs EIFEL-BLUES (grafit) gerade bei Udo/ Eichborn auf CD erschienen ist Um wieder in weite Fernen zu schweifen, begeben wir uns zum wichtigsten Flughafen des Landes. Sex & Crime ist das Motto eines Psychopathen in MAINHATTAN BLUES (Societäts-Verlag), der mit korrekt intoniertem Background immer wieder daran erinnert, dass sein Verfasser, Andreas Schäfer, Tage und Nächte nicht nur am PC sondern auf Frankfurts Straßen als Hauptkommissar verbringt Die Darstellung der Hurenmorde lässt Vorbilder wie James Ellroy und Ex-Cop Joseph Wambaugh erahnen. Christopher G. Moore, „die Stimme aus Bangkok“, ist auch in STUNDE NULL IN PHNOM PENH (metro/ Unionsverlag) wieder vom Allerfeinsten. Hat man mit dem Ensemble aus CIA-Veteranen und Gestrandeten erst mal ein paar Seiten verbracht so will man sich schnell versichern, dass man das Rückflug-Ticket an einem sicheren Ort verstaut hat…