Produzenten-Legende MITCHELL FROOM über kreative Geburtshilfe
Daß er sich gerade an einem eigenen Album versucht hat, ist allenfalls der Anlaß. Weit lieber spricht Produzenten-Legende MITCHELL FROOM über kreative Geburtshilfe
Er erinnert sich noch genau an den größten Musikladen in der nordkalifornischen Kleinstadt seiner Kindheit und Jugend. 15 Platten mögen es gewesen sein, die da in der Rock’n’Roll-Ecke ihre Existenz fristeten: Hendrix’^re YouExperienced?“, das Debüt der Doors, „all die großen Alben von damals eben. Ich stand davor und dachte immer: ,Wenn ich nur ein Album machen könnte in meinem Leben, wäre ich wunschlos glücklich‘.“ Froom lacht – ein helles, halb verstohlenes, dennoch ansteckendes Lachen.
Er hat allen Grund dazu. Längst hat er seinen Lebenstraum übererfüllt. Wenn auch nicht, wie mit B phantasiert, als Keyboarder einer Rock’n’Roll-Band, sondern als Produzent – was ihm nämlich, nach einer Durststrecke ab Sessionmusiker, als „durchaus adäquate Alternative“ erschien.
Wer dem höflichen, stets humorvollen Mann in Schwarz gegenübersitzt (dessen größte Sorge es ist, verkürzt zitiert und dadurch ungewollt als prätentiöser Wichtigtuer porträtiert zu werden), wird kaum vermuten, daß seine so seriöse Studio-Karriere vor 16 Jahren ausgerechnet mit dem Soundtrack zu einem Porno-Klassiker begann. „Cafe Flesh“ hieß das Werk.
Seinen künftigen Arbeitgebern gefiel der Streifen zwar weniger, die Musik (laut Froom „synthesized Be-Bop“) umso mehr. Schon wenig später setzte ihn Slash Records mit einem Mini-Budget auf die Del Fuegos an, eine junge Gitarrenband aus Boston. Das erste Album lief „okay“, das zweite „noch besser“. Und nach den folgenden Top 10-Hits mit Crowded House (JDon’t Dream It’s Over“) und Los Lobos‘ „La Bamba“ stand Froom natürlich auch in den Notizbüchern jener Plattenfirmenmenschen, die Produzenten nur mit Blick auf Chart-Erfolge engagieren. „Ich hatte Glück, ich mußte nicht kämpfen, um mir einen Namen zu machen. Einige Herrschaften glaubten wohl gar, ich habe das Geheimrezept für die Hit-Single entdeckt“, resümiert Froom amüsiert Die Tatsache, daß er das Musikgeschäft für eine „große Komödie“ hält, wurde dabei gerne und geflissentlich übersehen.
Dem drohenden Kommerz-Overkill beugte Froom vor, indem er „nie gleichzeitig an zwei Alben“, gern aber kontinuierlich mit Künstlern arbeitete: So steht sein Name bereits auf fünf Richard Thompson-Alben, und auch Elvis Costello, Los Lobos und Ron Sexsmith kamen immer wieder gern auf Froom und seinen Adlatus Tchad Blake zurück. Für die Industrie längst nicht mehr „der Schlüssel zum kommerziellen Erfolg“, kommen die meisten Anfragen heute von Musikern, die die Arbeit des Duos schätzen, das sich erst 1992 mit Suzanne Vegas Industrial-Folk-Meisterwerk „99.9 °“ sowie Los Lobos‘ „Kiko“ wirklich definieren und etablieren konnte. „Früher hatte ich Probleme mit Technikern. Tchad und ich hingegen lagen sofort auf einer Wellenlänge, auch privat Trotzdem mußte ich anfangs darum kämpfen, ihn überhaupt einsetzen zu können, weil er noch nichts vorzuweisen hatte. Zumindest für den Mix wollten die Plattenfirmen einen Mann mit nachweisbaren Erfolgen. Nach diesen beiden Alben hörte ich dann immer nur die Frage: ,Tchad ist doch sicher auch wieder dabei, oder? 1 Aber wir brauchten fünf Jahre, um dahin zu kommen.“
Froom, der seine Studio-Schäfchen gerne mal mit der humorigen Ansage „Ich werde Deine Karriere ruinieren“ irritiert, war bei Capitol gar zeitweilig als produzierender Executive im Gespräch. Doch mirnichts-dir-nichts die Seite zu wechseln kam für ihn nie in Frage. Der Produzent als Plattenboß, das empfindet er eher als „Degradierung“, denn: „Warum willst du in Meetings rumsitzen und über Musik reden, wenn du die Möglichkeit hast, Musik zu machen? Natürlich frustiert es mich immer wieder, daß so viele gute Platten den Bach runtergehen, natürlich willst du Erfolg. Aber das kann nie die primäre Motivation sein, Platten zu machen. Das Glück besteht darin, sie überhaupt machen zu können.“
Eine andere Maxime, nämlich die strikte Trennung von Privat- und Arbeitsleben, mußte Froom nach einer Studio-Session mit Suzanne Vega allerdings abschreiben. „Ich hatte mir geschworen, sowas nie zu machen“, lacht er. Doch was soll man(n) machen, wenn die Gefühle „auch jenseits der Musik überwältigend“ sind? Klar doch: heiraten und Kinder kriegen.
Das vielleicht persönlichste Froom-Album allerdings – in Struktur und Klang-Ästhetik unüberhörbar auch Blaupause für das Solo-Debüt „Dopamine“ und seine Soundtrack-Miniaturen (Review im letzten Heft) – entstand nicht etwa am heimischen Küchentisch, sondern 1994 spätnachts mit dem 4-Spur-Recorder (der „nicht mehr so gut in Schuß war“) von Los Lobos-Mann David Hidalgo. Froom: „Von zehn Leuten, die ich irgendwo treffe, sagen neun spontan: ,Latin Playboys! Ich liebe dieses Album‘.“ Sogar die Damen der japanischen Schräg-Pop-Combo Cibo Matto teilten diese Meinung, auch wenn Froom auf das daraus resultierende Album „Viva! La Wnnan“ musikalisch „so wenig Einfluß nahm wie sonst nie“ – weil nicht nötig und einfach „wunderbar“.
Binnen zweier Studio-Wochen (die sie der Plattenfirma mit viel Überredungskunst rausgeleiert hatten) machten Froom, Blake, Hidalgo und Los Lobos-Texter Louie Perez aus dem Küchen-Demo das „Latin Playboys“-Debüt – das eine denkwürdige Abhörsitzung bei der Plattenfirma zur Folge hatte. Froom: _Da saßen wir vier also, zusammen mit (Hümer-Pribident) Lenny Waronker und ein paar anderen Heavies. Sie wurden ganz weiß im Gesicht und wußten nicht, was sie da gerade gehört hatten. Schließlich sagte Lenny lapidar: ,Wenn Ihr wirklich meint, bringen wir’s eben raus.‘ Immerhin interessierten sich doch mehr Leute für die Platte als die „200 College-Kids“, die Froom als Zielgruppe vermutet hatte.
Nach seiner Inkarnation als Latin Playboy (mit „Dose“ liegt inzwischen bereits ein zweites Album vor), kam Froom nach vielen Jahren erneut mit Dan Zanes zusammen, dem Ex-Chef der Del Fuegos. Es war Sommer, die Frauen hatten gerade Babies bekommen, die Männer schrieben Songs, zogen anschließend durch New brker Clubs und verewigten 1995 das Ergebnis auf „Cool Down Time“.
Die Begegnung mit der Vergangenheit erteilte Froom eine jener Lektionen in Bodenständigkeit und Bescheidenheit, die er nicht missen möchte. „Die Del Fuegos“, sinniert et, „hatten ein Alkoholproblem – was ich früher überhaupt nicht realisierte, obwohl ich für diese Kids so was wie eine Vaterfigur war. Was ich daraus gelernt habe? Immer wenn du anfängst, dir selbst einzureden, daß du eine Situation im Griff hast, wirst du plötzlich damit konfrontiert, daß du in Wahrheit keine Ahnung hast Was durchaus eine positive Erfahrung ist: Es ist gut, regelmäßig zurechtgestutzt zu werden.“
Was vielleicht gerade für die gilt, deren Kleinstadt-Träume tatsächlich in Erfüllung gingen.