Das zweite Gesicht
Die dunklen Visionen und opulenten Songs von Conor Oberst und Bright Eyes
Seine Erfahrungenn in einer spiritualistischen Gemeinde aber auch die von Terror und Öko-Katastrophen geschüttelte Welt inspirierte den großen Suchenden Conor Oberst zu starken Bildern. Mit seinen Kollegen Mike Mogis und Nate Walcott male er sie diesmal in besonders kräftigen Farben aus.
Notlager aus Feldbetten, Koffern und Rucksäcken, übermüdete Menschen, die über Mobiltelefone mit ihren Liebsten daheim telefonieren. Ein babylonisches Sprachengewirr. Kein Flüchtlingslager, sondern der O’Hare-Airport in Chicago, Ende Februar 2007. Blizzards rasen über den Norden der Vereinigten Staaten und legen den Flugverkehr lahm. Im Süden ziehen Hurrikans ihre Spur der Verwüstung übers Land. An der Westküste naht die rauschende Oscar-Nacht, bei der der einstige Präsidentschaftskandidat Al Gore auf eine Auszeichnung für sein Weltklima-Rührstück „An Unconvenient Truth“ hofft. Ganz im Osten, in New York, wollen sie ein iranisches Terrornetzwerk aufgespürt haben, das losgeht, sobald George W. nach Konferenz mit dem brennenden Dornbusch zum nächsten Militärschlagb lasen sollte.
Dann flimmert wieder Basketball über das Dutzend Bildschirme des Diners im Norden Chicagos.
Einen Block weiter, die North Clark Street rauf, wo die jungen Menschen in Schnee und Eis vor dem Club „Metro“ warten, hört man von drinnen eine Fiddle fiddeln und die Stimme eines Mannes, die noch vor jugendlicher Emphase bebt: „A squatter’s made a mural of a Mexican girl/ With fifteen cans of spray paint and a chemical swirl/ She’s Standing in the ashes at the end of the world/ Four winds blowing through her hair.“
Unverkennbar singt hier Conor Oberst, der an diesem Abend in Chicago (nach einem Aufwärm-Gig im heimischen Omaha) die US-Tour seiner Band Bright Eyes eröffnet. In dem neuen Song „Four Winds“, der unheilvoll aus der Offenbarung des Johannes zitiert, fiebert er von den vier Engeln, die die Winde
festhalten, welche – wenn sie losgelassen – das Böse aus allen Himmelsrichtungen über die Welt bringen.
Nun sind die Winde der Apokalypse ein beliebtes Motiv der populären Musik, in einer so wortmächtigen düsteren Vision sind sie einem allerdings selten begegnet. Aber schon in seinen Teenagerjahren Mitte der Neunziger bei der Emo-Band Commander Venus und den damals noch als Nebenprojekt gedachten Bright Eyes war Conor Oberst ja nicht gerade ein Sonnenschein. Dass er durch Drogenentzug und Therapien gegangen sein soll, glaubt man gerne, wenn man seine Texte gehört hat oder Zeuge seiner intensiven, rotweindurchtränkten Konzerte wurde. „Four Winds“ heißt übrigens auch eine psychiatrische Klinik in Westchester, New York.
Doch man muss keinen außerordentlichen Hang zu Depression und Drama haben, um nachvollziehen zu können, warum ein Künstler heute Tsunami, Hurrikans, die nahende Klimakatastrophe, Terror und Kriege als Vorboten der Apokalypse inszeniert. Ist ja auch ein verführerischer Gedanke: die USA als sündige Hure Babylon, die Bright Eyes als Engel der Apokalypse, die mit jedem Posaunenstoß ein neues Unheil verkünden.
„One man’s apocalypse is another man’s holiday“, muffelt Oberst an diesem ungemütlichen Nachmittag in der Windy City. Die leicht genervte Stimmung scheint jedoch weder Weltlage noch sensibler Künstlernatur, sondern der zehnstündigen Busfahrt über Nacht von Omaha geschuldet. „Die biblischen Referenzen waren Ausgangspunkt“, erklärt er, „die alten Bilder haben mir gefallen. Und an der aktuellen Weltlage kommt man wohl nicht vorbei, wenn man heutzutage Songs schreibt. Leider.“ Die Niederlage von John Kerry, für den Oberst bei der letzten Präsidentschaftswahl zusammen mit Bruce Springsteen, John Fogerty, R.E.M. und anderen Musikern Stimmen mobilisiert hatte, sitzt noch tief, doch die Kandidaten der Demokraten, die sich zur Nominierung für den nächsten Wahlkampfstellen wollen, lassen Oberst hoffen. Sein Favorit ist Dennis Kucinich aus Ohio, der als Sprecher einer Gruppe progressiv-linker Mitglieder des Repräsentantenhauses, die sich gegen die Irak-Politik der Regierung stellten, bekannt wurde. Er ist wie Oberst Veganer und für einen Amerikaner ökologisch ziemlich engagiert. „Alles, was er sagt, ist wahr“, meint Oberst, und man merkt ihm an, dass er die zynische Phrase, mit Wahrheiten könne man keine Wahlen gewinnen, schon oft gehört hat. „Vermutlich haben die Leute zu lange gebraucht, um Bush zu durchschauen, aber ich glaube, die meisten sind intelligenter, als man ihnen zugesteht. Die Bush-Cheney-Leute haben es halt meisterlich verstanden haben, die Informationen zu kontrollieren und alles mit Hinblick auf 9/11 auf ihre patriotische und christliche Grundgesinnung zu reduzieren.“
Oberst hat einen echten Protestsong zu diesem Thema geschrieben und ihn in Jay Lenos „Tonight Show“ vor einem Millionenpublikum zornig vorgetragen: „When The President Talks To God“. „Es ist der einfachste Weg, eine Diskussion zu beenden, wenn man sich auf Gott beruft“, erklärt er, „Gott ist ein ziemlich flexibles Wort, (stockt) Gott ist alles. Er ist wie das Universum. Eine Substanz, die alles zusammenhält. So eine Art Dunkle Materie vielleicht. Keine Ahnung. Ist jedenfalls immer wieder mal ein Thema, oder?“ Klingt eher nach einer Suchbewegung als nach einer Erklärung.
Oberst hat sich ja von Anfang an als rastlos Suchender inszeniert. Das ist auch auf dem neuen Album nicht anders. Er sucht bei der Liebe, in der Religion, im Fatalismus, bei seinen musikalischen Ahnen. Nach was eigentlich? „Weiß nicht, nach einem Sinn oder Zuhause vielleicht.“ Das neue Album der Bright Eyes hat er jedenfalls nach einem Ort benannt, der sinnbildlich ist für Selbsterfahrung und -findung: „Cassadaga“. Eine spiritualistische Gemeinschaft nördlich von Deltona, Florida. Fast jeder Mensch in Cassadaga sei ein psychic, sagt Oberst, also ein Medium, das mit Geisteswesen, den Seelen Verstorbener kommunizieren könne. „Ich bin mit einem Freund dahin gereist. Zunächst haben wir uns sehr amüsiert über den Seelenfrieden, der da allerorten herrscht. Doch irgendwann habe ich angefangen, darüber zu schreiben und viel darüber nachzudenken.“
Klingt erst mal so, als sei auch Oberst den Gang vieler US-Jungstars in die Arme von Predigern oder Scientology gefolgt. „Wenn du willst, dass etwas für dich von Bedeutung ist, musst du ihm selbst Bedeutung geben, um daran zu glauben“, verteidigt sich Oberst, „und für manche Leute mag das eine Art kommerzielles Entertainment oder ein Selbsterfahrungskurs sein. Aber es gibt auch Leute, die authentischer sind. So wie die, die ich in Cassadaga getroffen habe. Sie haben ihr ganzes Leben ihrem Glauben gewidmet.“
Bezeichnend, dass aus dem „sie“ nie ein „wir“ geworden ist. Denn Oberst ist viel zu sehr Skeptiker, um zu glauben, er könne im Jenseits finden, was er im Diesseits sucht. Resigniert schließt er am Ende von „Cassadaga“: „Everything gets smaller now the further that I go/ Towards the mouth and the reunion of the known and the unknown/ Consider yourself lucky if you think of it as home/ You can move mountains with your misery if you don’t.“
Aber rollen wir den Stein erst mal den Berghoch, bevor wir ihn runterkullern lassen: „Cassadaga“ beginnt mit einem – wie Oberst es nennt – „field recording of a psychic“, dazu ertönt ein Orchester wie in „A Day In The Life“, das sich im Crescendo aus dem Chaos heraufschraubt, bevor Oberst den stream of consciousness fließen lässt. Er scheint auf „Cassadaga“ jede Wendung, jedes Wort umzudrehen und nach Sinn zu durchstöbern, jede Maske anzuprobieren und jedes musikalische Genre auszutesten. Manischer Folk wechselt mit Country-Balladen, Wall Of Sound-Bombast, World Music, Post-Rock und fast Kammermusikalischem.
Mittlerweile sind auch die anderen Musiker aus dem Tourbus ins „Metro“ gewankt und haben sich vor der Kaffeemaschine aufgestellt. Keyboarder Nate Walcott und Gitarrist und Produzent Mike Mogis, mit Oberst bilden sie den Kern der Band, sowie die Freunde Jake Bellows, SongwriterderBandNevoDinova, der auf dieser Tour Bass spielt, Ex-Decemberists-Schlagzeugerin Rachel Blumberg und Geiger Anton Patzner. Auch auf „Cassadaga“ wurden Bright Eyes um illustre Gästen erweitert. Unter anderem sind Ex-Sleater Kinney-Schlagzeugerin Janet Weiss, John McEntire von Tortoise und die Songwriter Gillian Welch, M. Ward und Ben Kweller dabei. Aufgenommen wurde in New York, Chicago, Portland, Oregon und Omaha, wo Mogis und Oberst Hausnachbarn sind und im Hinterhof ein Studio gebaut haben. „Wir konnten dort aufnehmen, wann und soviel wir wollten“, meint Oberst, „Das Album hat sich so quasi selbst geformt.“
Mike Mogis hat sich mittlerweile auf einem Sofa hinter seinem Laptop versteckt. Er soll ein sehr guter veganischer Koch sein, sagt man, sein Kaffee allerdings lässt nicht darauf schließen. „Man muss das Album vermutlich ein paar Mal hören, um zu erkennen, wo es hingeht“, meint er, nimmt einen Schluck von seinem Gebräu, schüttelt den Kopf, steht auf und gießt es in den Ausguss. „Ich würde nicht sagen, dass einen dieses Album herausfordert, weil es doch auch sehr viele direkte und eingängige Stücke gibt, aber man kann es auch nicht nur so nebenbei hören.“
„Cassadaga“ hat nicht mehr die lyrische und musikalische Wucht von „Lifted“ oder „Fevers And Mirros“, nicht die Geschlossenheit der 2005 zeitgleich erschienenen Genre-Werke „I’m Wide Awake, It’s Morning“ und “ Digital Ash In A Digital Urn“. Die Musik ist eklektisch und um einiges ausgeklügelter. Harmoniegesang schmeichelt, Streicher und Bläser, die zwischen Kunst und Kitsch changieren, lassen den Hörer mal entzückt, mal verwirrt und mal überzuckert zurück. Die Arrangements stammen von Nate Walcott. „Er hat eine Menge verschiedener Stile drauf, erklärt Oberst, „Mike und ich haben die Streicher und Bläser quasi mit ihm ausdiskutiert.“
„Was Arrangements und musikalische Ideen angeht, haben wir noch nie so intensiv zusammengearbeitet wie dieses Mal“, bestätigt Mogis. Immer wieder hätten sie sich zu dritt getroffen, Ideen ausgetauscht und sich gegenseitig Platten vorgespielt. „Alle Künstler lernen von ihren Vorgängern“, lacht Mogis. „Wir haben viele klassische Alben gehört, die für uns einen bestimmten Sound definiert haben. Phil Spector, die Beach Boys und Animal Collective, viel psychedelisches Zeug… Wenn ich mir nicht sicher war. ob ein Song eine Steel Guitar braucht oder nicht, habe ich mir „The Wolfking Of L.A.“ von John Phillips angehört. Danach wusste ich es. Die ersten Scott-Walker-Alben waren eine Referenz für einige Streicherparts. Und Leonard Cohen. Die Basslinie und die gedoppelten Streicher von einem Track auf ‚Songs Of Love And Hate‘ haben wir auf eines unsere Stücke („No One Would Riot For Less“) übertragen.“
Mogis hat sich nun den letzten Schlaf aus den Augen gerieben und erzählt euphorisch von den Möglichkeiten, die ihm das neue Studio gebe, von alten teuren Kompressoren, durch die er jeden Mix gejagt habe, weil er diesen muskulösen Sound so möge. „Wir haben versucht, den Stücken gerecht zu werden und den Inhalt der Songs mit musikalischen Ideen zu unterstützen. Ich hoffe, dass sich die Leute irgendwann mit der Musik ebenso verbunden fühlen wie mit den Texten.“
Beim Konzert in Chicago ist das leider nicht der Fall. Nichts zu spüren von der Direktheit und Intensität früherer Konzerte. Sie lassen sich nicht zum Publikum herab, diese sechs Engel der Apokalypse. Aber sind es laut Offenbarung des Johannes nicht eigentlich sieben Engel? Da kann der letzte Posaunenstoß an diesem Abend wohl nicht erschallen. Wir müssen weiter auf die Erlösung warten.