Das ZDF und Dr. Guido Knopp suchen die „100 größten Deutschen“, aber Hitler darf nicht mitmachen
Die größten Deutschen müssen doch einfach Martin „Kinnteufel“ Kesici und Thomas „The Voice“ Wohlfahrt sein, und, jawohl, auch Michael Wurst, der dritte total niedliche, einwandfrei phrasierende und charismatische Vorsänger und Halbfinalteilnehmer bei „Star Search“. Denn seit es in Deutschland so heiß wird wie früher nur im nördlichen Afrika, haben solche Gestalten nicht nur freien Eintritt in Fernsehstudios, sondern machen dort auch schwäbelnd Heiratsanträge, laden ihre debilen Biker-Freunde aus der Berliner Kneipe ein und präsentieren ihre Familie, die wie ein Gesamt-Wolfgang-Petry aussieht. Gemeinsam gehen sie saufen und schwören, dass kein Wettbewerb sie je trennen könnte.
Früher waren solche exhibitionistischen Alleinunterhalter froh, wenn jemand ihren Arschbomben im Freibad zuschaute. Heute jubiliert der angeschickerte Breitmaulfrosch Alexandra Kamp, von Hella von Sinnen zu Recht „Mein Kamp“ genannt. Fünf Punkte gibt es von der enthemmten Ulknudel Jeanette Biedermann. Und sogar der ewig trostlose Blödel-Magenbitter Hugo Egon Balder fand das armselige Absingen von REO Speedwagon- und Poison-Schnulzen am Ende hinreißend. DieCIaqeure von Kinnteufel, Wurst und Wohlfahrt verbrüderten sich im Publikum bis zur gemeinsamen Kneipentour durch die Erlebnisgastronomie, wo Wettbewerbe auf ähnlichem Niveau keine Seltenheit sind.
Deutschland 2003, ein glücklicher Ballermann mit Rekordarbeitslosigkeit und Krise der Musikindustrie, aber an jeder Ecke ein Wettsingen und Busenzeigen, ein Quiz-Raten und Lotto-Spielen, ein Eislecken und Dolce-vita-Gequatsche, dass man die nächste Eiszeit herbeisehnt. Gerade der ziegenbärtige Wetterbesessene Jörg Kachelmann beklagt noch die Seinsvergessenheit des Volkes, das immerzu Sonne verlangt und es dann doch nicht aushalten kann. Ein Sturm, ein Gewitter, ein Orkan seien viel reizvoller, so Kachelmann korrekt. Verhindern auch Hirnverbrennung.
Jener gescheitelte Versicherungsvertreter, der tatsächlich mit seinem Musterkoffer durch die Redaktionen zieht und Filme vorführt, ist dagegen hitzeresistent. Dr. Guido Knopp ist ein Überzeugungstäter und Sektierer wie Erich von Däniken, Peter Scholl-Latour, Dieter Bohlen oder Reinhold Messner. Ein Geschichtsmüll-Junkie, der noch jeden Händedruck des Führers mit dräunender Wagner-Musik, nächtlichen Blitzen und verrissener Kamera nachstellen muss, der jedes Ereignis einerseits als kleines Fernsehspiel, andererseits als von allen Seiten belaberte Zeugenaussage im schwarzen Raum inszeniert. Bis zur letzten Hitlersekretärin, dem letzten Hitlerchauffeur und der letzten Hitlerköchin quetscht Dr. Knopp das Banale des Blöden aus. Sie sterben ihm weg. Aber wenn die Hitlerei einmal vorbei ist, gibt es ja noch den Widerstand – nicht ganz so prickelnd, hat jedoch auch mit Hitler zu tun.
Oder einfach „History“, wie Dr. Knopp sagt, ex negativo: Wenn sein größter Deutscher aller Zeiten schon nicht gewählt werden darf, weil „Verbrecher“ auf dem Rechtsweg ausgeschlossen sind, verweisen die anderen „100 Deutschen“ umso augenfälliger auf den blinden Fleck, das Vakuum. „Kein Goebbels, kein Göring, kein Himmler!“, trompetet Dr. Knopp, allein das Aussprechen ein Triumph. Welche delikaten Ergebnisse ohne den Ausschluss zustande gekommen wären!
Aber freilich, den Gegenfiguren gönnt Dr. Knopp es auch: dem katholischen Stoiker Konrad Adenauer und dem melancholischen Frauenversteher Willy Brandt, die wieder Ordnung schafften. Oder halt Wolfgang Amadeus Mozart, wenn Bach und Beethoven nicht reichen. Was aber ist mit Susan Stahnke, Stefan Effenberg, Naddel, Frauke Ludowig, Carmen Nebel, Ulrich Wickert, Til Schweiger, Heiner Lauterbach, Sabine Christiansen, Manuel Andrack, Horst Tappert? Yvonne Catterfeld, Carlo von Tiedemann, Wolfgang Niedecken, Ulla Kock am Brink, Hannelore Eisner, Ottfried Fischer, Daniel Küblböck, Franziska van Almsick, Jenny Eivers-Elbertzhagen, Jürgen Drews, Guido Westerwelle, Mike Krüger, Ger- hard Meir, Roberto Blanco, Sandra Maischberger? Sagen wir es ruhig: jeder ein Größter, jeder ein König!