„Das, was du da hörst, verändert dein Leben.“
Der österreichische Schriftsteller Thomas Glavinic über seine musikalischen Erweckungserlebnisse
Ich hatte in meinem Leben, wenn man so will, zwei musikalische Erweckungserlebnisse. Das erste war, als ich mit 15 Jahren zum ersten Mal „Hey Joe“ von Jimi Hendrix hörte. Das war Mitte der Achtziger und passte so gar nicht in diese Zeit. Die Musik, die damals in den Hitparaden lief, empfand ich als unbefriedigend. Die Neue Deutsche Welle zum Beispiel ist ja eine nette, aber sehr dünne Musik – nicht zu vergleichen mit dem, was ich nun von Hendrix, den Stones oder Led Zeppelin zu hören bekam. Die meiste Musik der Achtziger passte irgendwie zu den Frisuren, die man damals trug. Und in Österreich hörte man noch viel Schlimmeres (und sah dementsprechend aus).
Mein zweites Erweckungserlebnis hatte ich ein paar Jahre später. Ich war Anfang 20. Ein zu viel kiffender, trinkender, sich oft im Intellektuellen (oder dem, was ich dafür hielt) verlierender, zorniger junger Mann wie so viele andere auch. Da hörte ich zum ersten Mal „Ghettowelt“, den ersten Song vom ersten Blumfeld-Album „Ich-Maschine“, und komischerweise wusste ich in diesem Moment: Das, was du da hörst, verändert dein Leben, hier und jetzt. Das ist dein Leben. Ich sage so etwas ja wirklich nicht gern, aber dieser Moment hatte beinahe etwas von einer Art religiöser Erfahrung für mich. Da sang jemand in drei Minuten mein eigenes Leben. Was geschah da? Wie war das möglich? Ich weiß, für den, der das nie erlebt hat, mag sich das seltsam anhören.
Blumfeld habe ich natürlich weiter verfolgt. Und 1999 zur Veröffentlichung von „Old Nobody“ sogar mal bei Kaffee und Limonade in Hamburg ein Interview mit Jochen Distelmeyer geführt. Aber verglichen mit seinem großartigen Werk erschienen mir die Dinge, die er mir über seine politischen Ansichten und sein Engagement erzählte, ein bisschen naiv. Vielleicht sollte man die Ikonen seiner Adoleszenz einfach nicht treffen. Wer weiß, vielleicht gilt das für alle Ikonen. Ich habe keine mehr getroffen.
Stimmt nicht, ich habe Laetitia Sadier getroffen. Vor wenigen Monaten, mit Schwitzehänden und stotternd. Denn die Band, die für mein Schreiben die allergrößte Bedeutung hat, ist Stereolab. Ich habe noch nie einen Roman geschrieben, ohne dabei Stereolab zu hören. Ich schreibe immer unter Kopfhörern, Stille ist für mich Ablenkung, denn da sind immer diese Tagesfetzen, die an mein Ohr dringen – die Nachbarn, der Geschirrspüler. Ich muss morgens direkt vom Schlaf in den Text hinein, und die Musik von Stereolab versetzt mich in eine Art Halb-Trance, die ich für mein Schreiben brauche. Der Klang meines Schreibens – das ist für mich Stereolab.
Anfang Februar erscheint beim Hanser Verlag Thomas Glavinics neuer Roman „Lisa“.