Das Tape: die halbe Miete
Abseits der schalen Ostalgie feiert ein neues Buch die fast vergessene Geschichte des DDR-Punk - und zeigt, dass die Genossen eine radikal spannende Szene hatten
Was für Ignoranten wir sind! Haben in den letzten Jahren brav nostalgisch das Düsseldorf-Hamburg-Punk-Buch „Verschwende Deine Jugend“ studiert und uns wie Rentner an den alten Punk- und NDW-Scheiben gewärmt: Das gab’s nur einmal… Ach, hör doch auf! In der Berliner Volksbühne konnte man als Westdeutscher vor einigen Wochen eine überraschende Entdeckung machen: Wir waren nicht allein mit unserer Faszination für kratzige Gitarren, röhrende Elektronik und besoffene Exzesse. Alfred Hilsbergs Hamburger Zick-Zack-Label und der nicht minder verdiente Verbrecher-Verlag feierten im Schatten der Pop-Komm die Präsentation eines Buches mit beigelegter Doppel-CD: „Spannung.Leistung. Widerstand. Magnetbanduntergrund DDR 1979 -1990“.
In Interviews und Beiträgen, in denen die Akteure zu Wort kommen, präsentiert sich hier zum zweiten Mal ein essentieller Doku-Roman über den deutschen New Wave diesmal aus der Ost-Perspektive. Klischee-Punk haben die Herausgeber Alexander Pehlemann und Ronald Galenza allerdings weitgehend unter den Tisch fallen lassen. Stattdessen erfahren wir viel über eine aufregende Künstler- und Boheme-Szene mit beeindruckenden Willen zum Risiko und großen Schwierigkeiten bei der Beschaffung des damals üblichen Speichermediums: „Während man für eine einfache Wohnung im Prenzlauer Berg 50 Mark Miete zahlte, kostete eine einzelne Leerkassette immerhin 22 Mark. Für eine so genannte Chromkassette (niemand wusste, wo darin das Chrom versteckt war) zahlte man tapfer 30 Mark. Also mehr als die halbe Miete“, schreiben die Herausgeber im Vorwort.
Die beigelegte Doppel-CD wurde von Bernd Jestram, Bo Kondren, Ronald Lippok und Bert Papenfuß kompiliert – allesamt verdiente Kämpfer gegen den Mainstream aus dem Umfeld der legendären Elektro-Pioniere Ornament & Verbrechen, die im September in der Volksbühne zum ersten Mal seit 15 Jahren wieder zusammen spielten. Beim Auftritt des Trios – aus dem später die Gruppen Tarwater und To Rococo Rot entstanden – hatte man keinen Moment das Gefühl, alten Veteranen zuzuhören. Im Gegenteil: Verglichen mit manchem Recken aus Düsseldorf oder Hamburg klang die Kombination Schlagzeug, Elektronik und Hackbrett bzw. Tuba eher zukunftsweisend als reminiszent.
Natürlich konnte man auch in der Volksbühne die von „Verschwende Deine Jugend“-Lesungen bekannten Erscheinungen sehen: alt gewordene Jugendliche in außer Kontrolle geratenen Körpern, mit grauen Strähnen im Haar, und einige sogar in den Lieblingsklamotten von damals. Vielleicht waren weniger vom Alkohol gezeichnete Alt-Punks da, dafür ein paar mehr verkrachte Künstlertypen. Man wollte alte Freunde wiedertreffen, alte Stories loswerden und Bands sehen, von denen es die meisten gar nicht mehr gibt: Freunde der Italienischen Oper, Bolschewistische Kurkapelle. Mendelsson, Herbst in Peking und natürlich Flake Lorenz, inzwischen Keyboarder bei Rammstein.
Gerade von Flake gibt es auf den CDs Überraschendes zu entdecken, wie das 1988 entstandene Prä-TripHop-Kraut-Dub-Stück „Macao (Sie töten)“. Einige der radikalsten Tracks stammen von Frank Brettschneider, der mit dem ebenfalls im Magnetbanduntergrund engagierten Carsten Nicolai heute das Techno-Label „raster-noton“ betreibt. Viele Stücke der Compilation erinnern an Bands wie die Virgin Prunes, Cabaret Voltaire oder den „No new York“-Sampler: urbane Beschwörungsrituale und Industrial-Tänze aus der untergegangenen Arbeiter- und Bauernrepublik – die alte Losung „Legal, illegal, scheißegal“, hier trifft sie wirklich.