Das Spiel des Lebens
In der gefeierten Serie „Mad Men“ – die bei Fox und ZDFneo läuft – liegt Amerika auf der Couch.
Die beste Fernsehserie der Gegenwart läuft in Deutschland nicht in der ARD, im ZDF, auf Pro7, Vox oder RTL II. Sie lief lange überhaupt nicht. Der Bezahlkanal Fox zeigte die erste Staffel und machte dann eine Pause. Nun, da drei Staffeln auf DVD vorliegen, bringt er die zweite Tranche. ZDFneo hat derweil mit der Ausstrahlung der ersten Folgen begonnen. Die Schauspieler Jon Hamm und Elisabeth Moss wurden nach Köln geflogen, um dort die erste Episode der dritten Staffel von „Mad Men“ gemeinsam mit Fans in einem Kino zu sehen. Außerdem wurde ihnen für herausragende Leistungen der „Hollywood Reporter Award“ verliehen. In den USA gewann das Kammerspiel um eine Reklamefirma den dritten „Emmy“ in Folge. Foren und Blogs befassen sich mit dem Phänomen, Plot-Pointen, Dialoge und Dekor-Details werden diskutiert.
Weil möglicherweise nicht jeder von dem Mad-Virus erfasst ist, hier eine knappe Erklärung: Die Serie spielt zu Beginn der 60er-Jahre in den Büros der Werbeagentur Sterling-Cooper in der Madison Avenue in Manhattan (mittlerweile ist das Jahr 1964 erreicht). Der Leiter der Kreativabteilung, Don Draper, hat es mit zwei Chefs zu tun, einigen Kundenberatern, einem heimlich homosexuellen Grafiker und einem Schwarm von aufgetakelten Sekretärinnen, die vor der Tür des jeweiligen Herrn an ihrem Pult sitzen wie Wachhündchen und sich gegenseitig kontrollieren. Eine Subalterne, die als hässliches Entlein eingestellt wurde, erweist sich als clever und steigt zur Texterin auf. Die Chefsekretärin chauffiert ihre beachtlichen Ausmaße ostentativ zwischen den Schreibtischen hindurch und hat eine Gewohnheitsaffäre mit dem zynischen Leichtfuß Roger Sterling. Der listig-verschrobene Partner Bert Cooper ist ein Fossil des Werbegeschäfts und mischt seit den 30er-Jahren mit. Es geht also um Konkurrenz und Karriere, um Liebelei und Sex, um Geschäft und Geltung.
Man kann das konstatieren – und kratzt allenfalls an der Oberfläche von „Mad Men“. Andererseits liegt ein Teil der Magie dieser Serie schon in dem, was man sehen kann: den Kostümen, den Fassaden, dem Interieur. Die Männer rauchen immerzu und schenken sich während der Arbeit großzügig Drinks ein. Die Frauen gickeln und halten Ausschau nach einer guten Partie. Machismo und Sexismus, Homophobie und Antisemitismus sind üblich. Die Hausfrau besorgt das traute Heim, setzt die Kinder vor den Fernseher und betäubt sich mit Wermut. Nixon tritt gegen Kennedy an. Amerika ist im Wandel: Das Zeitalter des Pop beginnt – und hinter den akkuraten Anzügen und Kleidern sind Lebenslügen und Geheimnisse verborgen, die kein Mensch beherrschen kann. So wird ein Karussell von Intrigen und Affären, von Gier, Neid und Eifersucht in Gang gesetzt, das in den schärfsten Dialogen jenseits von Billy Wilder, Raymond Chandler und David Mamet kreiselt. „Mad Men“ ist eine Sitz- und Steh-Serie in Innenräumen, ein Sprachspiel, das vollkommen über Semantik und fast unmerkliche Gesten funktioniert.
Jon Hamm als Don Draper ist das Pokerface, das Enigma: ein Mann als Abgrund. In einer ironischen Volte hat er das amerikanische Glücksversprechen realisiert und sich selbst erfunden wie der große Gatsby, seine Vergangenheit abgestreift, den Ort gewechselt und eine Frau wie Porzellan geheiratet. January Jones gibt Betty als wunderschöne, verwöhnte, gelangweilte und verschlagene Kokotte, die ihre Neurosen auslebt, indem sie mit einem Gewehr auf die Tauben des Nachbarn schießt. Miss Jones sagt oft, dass sie sich darum bemüht, über diese Bestie nicht zu urteilen – interessanterweise spielt sie eine ganz ähnliche Frau in Tommy Lee Jones‘ Film „Die drei Begräbnisse des Melquiades Estrada“ aus dem Jahr 2005. Andere Figuren masturbieren und kiffen nach Dienstschluss im Büro, öffnen die Gehaltsbriefe der Kollegen, betrügen ihre Frauen auf dem Bürosofa oder in der Mittagspause oder träumen davon, ein wildes Tier zu erschießen, zu häuten und zu zerlegen. „Mad Men“ ist Amerika auf der Couch: das Land, in dem die Neurosen blühen. Dann kommen die Engländer und übernehmen den Laden, dem jungdynamischen, eleganten Geschäftsführer wird mit einem elektrischen Rasenmäher der Fuß zerfetzt. John F. Kennedy wird ermordet. Jack Ruby tötet Lee Harvey Oswald. Das Leben aber geht weiter, in den Bürotürmen von Manhattan, in den Bars, in den Vororten, in den Betten.
Seltsamerweise findet ausgerechnet der als vorzüglicher Psychologe gepriesene Jonathan Franzen die Serie „nostalgisch“ – ein bestürzend naives Urteil. Denn in „Mad Men“ sieht man die Arroganz, die Borniertheit und das plumpe Gewinnstreben, die Amerika zu dem machten, was es heute ist. Eine Nation fällt herein auf die eigenen Werbesprüche und niederen Triebe: Wenn Rauchen schädlich ist, dann müssen nur die Slogans geändert werden; wer im Flugzeug reist, der will der Stewardess unter den Rock gucken; und wenn ein Flieger abstürzt, dann geht es nur um Image und Schadensbegrenzung. Wer die Etats hat, der hat die Macht. Kunden werden mit Champagner und Nutten bespaßt. Reiche Selfmademen wie Conrad Hilton befördern aufstrebende Kerle wie Don Draper und lassen sie dann fallen. Es ist ein erbarmungsloses Spiel.
Man muss schon sehr gern komische Vögel beobachten, um dieses Treiben nicht als faszinierendes Menschheitsdrama zu begreifen.