Das schwarze Heroin
Die Öl-Katastrophe im Golf von Mexiko zeigt uns, was zwar alle wissen, aber jeder gerne verdrängt: Wir Öl-Junkies müssen auf Entzug, schreibt Attac-Mitgründer Sven Giegold.
Die Horrormeldungen um den Untergang der BP-Bohrinsel „Deepwater Horizon“, die wir seit Ende April täglich hören, machen zunächst vor allem eins: wütend. Ungläubig beobachteten wir, wie ein milliardenschwerer Ölmulti über Monate (und bei Veröffentlichung dieses Artikels womöglich noch immer) nicht in der Lage war, zu verhindern, dass täglich Millionen Liter Öl ins Meer strömen. Es ist ungeheuerlich, dass zur Bekämpfung der Ölteppiche massenweise Chemikalien eingesetzt werden, über deren Langzeitfolgen nur spekuliert werden kann. Vor allem ist es geradezu kriminell fahrlässig, solche Offshore-Bohrungen überhaupt aufzunehmen, ohne eine zuverlässige Technik entwickelt zu haben, die eine havarierte Leitung auch in großer Tiefe wieder schließen kann. Hier hat nicht nur BP versagt, sondern auch die staatliche Aufsicht. Warum durfte BP, warum dürfen andere Multis, in der Tiefsee bohren und Öl fördern, wenn sie offenkundig diese Technik nicht einmal sicher beherrschen?
Die Antwort ist ganz einfach: Weil wir Junkies sind! Unser jetziges Wirtschaftssystem und unser Wohlstand sind abhängig von fossiler Energie. Da die einfach auszubeutenden Öl- und Gasquellen den stetig wachsenden Bedarf nicht mehr decken, müssen die Dealer von BP und ihrer deutschen Marke Aral schwierigere und gefährlichere Depots erschließen, um an den Stoff zu kommen. Die Sucht sorgt für stetigen Absatz und Profit. Und natürlich nicht zu vergessen: Auch wenn alles angeblich gut geht und nichts havariert, ruiniert unsere Gier nach fossilen Energieträgern das Klima und damit unsere Lebensgrundlage. „Deepwater Horizon“ steht deswegen für ein Scheitern im Scheitern, eine Katastrophe inmitten der Tragödie.
Ähnlich wie der Super-GAU von Tschernobyl hält uns aber jetzt der Ölteppich mit brutaler Gewalt die simple Wahrheit vor: So geht es definitiv nicht weiter. Wir Junkies neigen dazu, bekannte und unbequeme Wahrheiten zu verdrängen und die Lösung von Problemen zu verschieben. Wir alle wissen, dass das fossile Zeitalter schnellstmöglich beendet werden muss. Wir handeln nur nicht so. Wir wissen sogar, dass es wirksame und verfügbare Alternativen gibt – wir wenden sie nur nicht an, jedenfalls nicht mit der nötigen Konsequenz. Klassisches Suchtverhalten.
Süchtigen kann und muss geholfen werden. Dazu braucht es Therapien mit verbindlichen Regeln – und deren Ausgestaltung sollte man tunlichst nicht den Dealern überlassen.
Wir brauchen einen Green New Deal, wir brauchen Regierungen, die ihn durchsetzen. Unseren Energiehunger können und müssen wir mit Energieeinsparung, Effizienz und Erneuerbaren stillen. Das ist nicht nur die ökologisch notwendige und alternativlose Behandlung für den Suchtpatienten Menschheit, das ist zudem das beste Konjunkturprogramm, um uns aus der globalen Wirtschaftskrise zu führen. Klimaschutz schafft zukunftsfähige Arbeitsplätze. Diese Therapie ist also keine bittere Pille, sondern sorgt im Gegenteil für mehr Lebensqualität für alle.
Doch was tun die Regierungen? US-Präsident Obama will bei BP den verantwortlichen Hintern gezeigt bekommen, um hineintreten zu können. Er denkt aber nicht daran, die Offshore-Bohrungen vor seiner Südküste zu verbieten. Die Bundesregierung weigert sich aktuell, das Marktanreizprogramm zur Förderung von erneuerbaren Energien fortzusetzen, und will gleichzeitig die Laufzeiten für Atomkraftwerke verlängern. Damit wird den Energieriesen mit ihren abgeschriebenen Kraftwerken eine Lizenz zum Gelddrucken ausgestellt. Und genauso wie BP keine Lösung für die Ölkatastrophe hat, gibt es weltweit kein einziges sicheres Endlager für Atommüll. Das ist Politik für die Dealer, die an ihrem öligen oder strahlenden Dreck privat verdienen, aber die Kosten auf die Allgemeinheit abwälzen.
Verstanden haben wir das eigentlich alle. Nur: Jetzt müssen wir mit dem Entzug endlich auch ernsthaft starten. Noch ist eine vergleichsweise schmerzfreie Therapie mit dem Green New Deal möglich. Später geht nur noch Cold Turkey.
Sven Giegold, Jahrgang 1969, ist wirtschafts- und währungspolitischer Sprecher der Grünen/EFA im Europaparlament. Er ist Mitbegründer des globalisierungskritischen Netzwerks Attac. Mitarbeit am Artikel: Peter Alberts