Das Retro-Label Rhino feiert seinen 25. Geburtstag – und lässt die vermeintlich hippere Konkurrenz alt aussehen
Es war schon immer eine gute Idee, seine Plattenlabel-Manager-Laufbahn als Händler zu beginnen: Vfe brauchernähe, Kostensinn, Repertoirewissen mussten sein – sonst nahte rasch die Pleite. Mit solch bodenständigem Basiswissen ausgestattet, startete Richard Foos 1973 in L.A. sein kleines Abenteuer „Rhino Records“ erst als Plattenladen, fünf Jahre später als Label. Heute ist es mit über 100 Millionen $ Jahresumsatz eine angesehene Institution der Branche und steht solider da als manche der großen Schwestern. Schon vor dem CD-Boom ahnte Foos, welch immenses Potenzial darin lag, verschollene und oft genug auch schon vergessene Alben neu, schön und meist nahe am Original ausgestattet herauszubringen – der Backkatalog als Programm, das erwies sich frühzeitig als geniale und vor allem dauerhafte Marketing-Idee jenseits des platten Kopplungswahns. Und auch die digitale Revolution und der Angriff der Billig-Brenner konnten der Geschäftsidee des findigen Musik-Fans Richard Foos bis heute wenig anhaben: Denn wer will sich schon das Gesamtwerk von Grateful Dead aus dem Internet saugen? Das muss man einfach haben, wie es einmal ausgesehen hat und seine Aura gewann. So jedenfalls sieht es die Zielgruppe von Rhino, die ihre popmusikalische Prägung noch mit Vinyl erfuhr, in jenen sagenumwobenen Zeiten, als Rock noch eine gesellschaftliche, quasi-politische Relevanz besaß und man mit der neuen Doors-„LP“ wie mit der Fahne einer Weltanschauung herumwedelte.
Natürlich ist „Rhino Records“ alles andere als ein Hippie-Biotop, doch ein wenig Pop-Geschichtsbewusstsein amerikanischer Prägung pflegt das Label schon. Dennoch, es muss Geld verdient werden: Als Teil der breitschultrigen Warner Music Group heute auch weltweit aufgestellt, fährt der muntere Gemischtwarenladen mit seinen opulenten und oft edel ausgestatteten CDs und Boxen satte Umsätze ein und hat den reinen Rock-Sektor längst verlassen. Kinderprodukte, Kinofilme und Videos gehören heute ebenso zum Programm. Seit Dezember 2000 bietet Rhino auch Audio-DVDs an. Die Premiere wurde mit Emerson, Lake & Palmers „Brain Salad Surgery“ gefeiert.
Schwer vorzustellen, das all dies 1973 aus einem schlichten Plattenladen hervorging, der seine erste Singles auch mal kostenlos verteilte: Wild Man Fischers acappella-Hymne „Go To Rhino Records!“ war ’75 die erste Rhino-Single, und sie klang wie ein Echo aus der Hippiezeit, ein Dokument des Underground-Anspruchs, mit dem Richard Foos antrat. Wild Man Fischer („The Vladimir Horowitz of street singers“) war ein echter Freak, und er sollte nicht der einzige Bizarro des jungen Labels bleiben: So leckere Acts wie Gefilte Joe & The Fish („Take A Walk On The Kosher Side“) und die diplomierten Kammbläser vom Temple City Kazoo Orchestra („Whole Lotta Love“) setzten Standards in Sachen Witz und Ironie. All das gab’s auf dem legendären Sampler „Rhino Royale“, bis Bock & Rollheute ein zuverlässiger Partykracher für altgediente Rock-Kenner.
Doch auch ähnliche schräg gestrickte Compilations wie „The World’s Warst Records“ brachten auf Dauer nicht die Butter aufe Brot – das geschah dann schon eher mit den ersten Wiederveröffentlichungen, die ab ’78 zum Markenzeichen des Labels wurden. Man erinnerte sich der Sixties-Band The Turtles („Happy Together“), deren Sänger Howard Kaylan und Mark Volman bei Zappas Mothers ihren zweiten Frühling erlebt hatten und nun reif waren für Sammlerweihen. Und schon zu Beginn des lukrativen Label-Lebens bestand keine Berührungsangst mit scheinbar Unvereinbarem: Ob Curtis Mayfield oder ELP, Monkees oder Ray Charles, entscheidend war nur, was kultverdächtig, vergriffen, aber hoffentlich begehrt war. Ein älter gewordenes, solventes Publikum auf der Suche nach der Jugend.
Hinzu kam, dass die Rhino-Macher als echte Schatzgräber auftraten und sich brach liegende Rechte sicherten, was ihnen bis heute große Namen reihenweise auf das Artist-Roster beförderte. Wer hätte bis vor einigen Jahren gedacht, das etwa Foreigner, Chicago, Alice Cooper oder die Ramones mal zum Rhino-Stall gehören würden?
Doch „Rhino Records“ sind keineswegs ein Hort der verschnarchten Nostalgie: Wer heute die Website besucht, kann neben dem aktuellen Programm und dem üblichen Web-Schnickschnack 32000 CD-Tracks aus 2500 Alben finden und hören. Doch das Hauptgeschäft bleiben trotz aller Innovationen immer noch die Klassiker, breit gefächert von Elvis Costello bis Sammy Davis jr. zu dessen Nachlassverwalter das Label geworden ist. Denn hier gibt es stets noch lukrative Lücken, wenn man nur genau hinsieht. Wer sonst würde schon die x-te Hit-Kopplung von Chicago veröffentlichen – und damit auch noch einen Gold-Erfolg erzielen? Der Grund ist ganz banal: „Die früheren waren nicht komplett!“ lautet die verblüftende Erklärung von Rhinos A&R-Chef David McLees. So einfach ist das, wenn man ein echtes Spür-Nashorn ist.