
Das Problem mit den Liebesliedern
Sind die schönsten Liebeslieder nicht die, in denen Jakob Dylans Motto "Be Your Own Girl" gilt?

Es ist wohl nicht nötig, übertriebenes Mitleid mit Jakob Dylan zu haben, aber es ist bestimmt auch nicht leicht, der Sohn vom großen Bob zu sein. Vor allem, wenn man selbst ein guter Singer-Songwriter ist, aber eben nicht … Bob Dylan. Mit den Wallflowers und solo hat Jakob Dylan immerhin einige tolle Lieder geschrieben. Eins davon bejuble ich seit mehr als 30 Jahren: „Be Your Own Girl“ (vom Debüt „The Wallflowers“, 1992). Da trifft er eine Frau, die noch nicht weiß, was sie eigentlich will – „restless and ageless and looking for something to keep“ –, und gibt ihr den besten Rat: „You don’t have to be his girl/ You don’t have to be my girl/ You can always be your own girl!“
„You don’t have to be his girl/ You don’t have to be my girl/ You can always be your own girl …“
Das „girl“ wollen wir ihm verzeihen – er war damals selbst erst 23, mit „Women + Country“ hat er sich später auch noch beschäftigt. In der Rockmusik geht es ja häufig um Mädchen, wenn eigentlich (hoffentlich) Frauen gemeint sind. Möglicherweise weil viele Musiker eher Jungs geblieben sind, obwohl sie längst Männer sein sollten … oder ist das sexistisch? Jedenfalls liebe ich deshalb Billy Joels „She’s Always A Woman“ so sehr. Da geht es um eine starke Frau: „She takes care of herself/ She can wait if she wants/ She’s ahead of her time.“ Sie gibt niemals auf, und sie gibt niemals nach, sie ändert manchmal ihre Meinung, doch sie ist „nobody’s fool“. Das ist das Ziel!
Mich hat das an einen anderen Song erinnert, der wie eine schöne Liebeserklärung klingt, aber eigentlich nur eine krankhafte Fixierung beschreibt – nicht auf das Gegenüber, sondern die eigenen Wünsche. Wenn Michael Stipe nicht selbst erzählt hätte, dass „Be Mine“ (vom R.E.M.-Album „New Adventures In Hi-Fi“, 1996) vielleicht kein reines Liebeslied ist, weil doch jede Zeile mit „I“ beginnt, wäre mir das wohl gar nicht aufgefallen. Es geht letztendlich gar nicht um den angeblich geliebten Menschen, sondern nur darum, was der Protagonist alles für sie/ihn sein möchte – eine Egozentrik, die mit Liebe wenig zu tun hat. Aber die Bilder sind natürlich trotzdem großartig: „I wanna be your Easter bunny/ I wanna be your Christmas tree.“ Obsession kann ja auch schön sein – solange sie auf Gegenseitigkeit beruht.
Obsession kann schön sein – solange sie auf Gegenseitigkeit beruht
Das Gegenstück dazu könnte „Das alles kommt mit“ von Element Of Crime sein. (Sie dachten doch nicht, dass es eine Kolumne über Liebeslieder ohne Sven Regener gibt?) Oder „Balu“ von Kettcar: Wenn die Liebe so groß ist, dass man gar nicht mehr weiß, wie man heißt. Wunschlos, namenlos. Aber nicht kopflos: „Vergiss Romeo und Julia/ Wann gibt’s Abendbrot?/ Willst du wirklich tauschen?/ Am Ende waren sie tot.“
Vielleicht verabschieden wir uns irgendwann mal von der gar nicht so romantischen, sondern eher verzweifelten Vorstellung, dass man eins sein müsste – und freuen uns darüber, zu zweit zu sein. Es ist doch viel schöner, wenn jeder sein eigener Mensch bleibt und allein nicht nur noch ein unvollständiges Teilchen ist. Das Lied endet mit den Worten: „Ich werd’ immer für dich da sein/ Bist du dabei?/ In dem Gefühl, wir wären zwei.“ Wenn mich jemand so fragen würde: Ja, klar! Aber ich habe ja auch schon mit 17 den Rest des Englisch-Leistungskurses irritiert, weil ich auf das Angebot am Ende von „Thunder Road“ sofort eingegangen wäre, ohne weitere Fragen. Wahrscheinlich bin ich doch eine hoffnungslose, nein: -volle Romantikerin.