Das Orakel von Big Sur
Zurück zur Natur: Feist nahm ihre neue Platte in einer Scheune auf – bei offenen Fenstern.
Für ihr neues Album hatte Leslie Feist ungewöhnlich viel Zeit. Nach der Tournee zum letzten Werk, „The Reminder“ (2007), zog sich die kanadische Sängerin nach Toronto zurück und hielt inne – nach fast einer Dekade pausenlosen Schreibens, Singens und Auftretens. So viel war geschehen: Nach der Mitarbeit im Musikerkollektiv Broken Social Scene war Feist mit ihren Soloalben zum Superstar geworden, zu einer Konsenssängerin, auf die sich alle einigen konnten. „Metals“ ist nun nicht die angekündigte „laute“ Platte geworden, dafür aber eine wunderbar klingende Sammlung vielseitiger und vielschichtiger Songs.
Frau Feist, haben Sie sich gut erholt?
Ja, das war dringend nötig. Ich habe 2008 sehr bewusst gesagt, jetzt ist Schluss. Irgendwann musste es ja aufhören – ich hatte am Ende tatsächlich kaum noch Interesse an Musik. Ich musste dringend meine Neugier wiederfinden. Aber auch meinen Humor; der geht auf einer langen Tournee zuerst flöten. Wir haben so ein Ritual in der Band: Wenn wir im Auto sitzen und einer von uns fängt an, Unsinn zu reden, kriegt er einen Müsliriegel – und den guten Rat, die Klappe zu halten. Ich bekam zum Schluss ziemlich viele Müsliriegel.
Was haben Sie mit Ihrer Zeit angefangen?
Einfach gelebt. Meiner Familie gezeigt, dass es mich noch gibt. Ich bin leise gewesen und habe begriffen, dass Stille nicht aggressiv ist.
Denkt man vorher nach: So oder so soll meine neue Platte werden?
Ich wusste, dass ich eine lautere, weniger vorsichtige Platte machen wollte. Ich habe bei meinen Tourneen bislang damit gekämpft, dass ich relativ leise singe und dann schwer gegen die Band ankomme. In gewisser Weise habe ich meine alten Songs so geschrieben, dass ich mit diesem Handicap klarkomme. Diesmal wusste ich, dass ich die einzige Gitarre spielen und Kontrolle über die Situation auf der Bühne haben will.
Eine Rock-Platte ist es nun aber nicht geworden.
Ich habe natürlich nicht meine pornografischen Gitarrenfantasien ausgelebt, falls Sie das meinen.
Das Album klingt konzentrierter und stilistisch homogener als Ihre vorigen Werke, auch älter. War das Ihre Absicht?
Wir wollten so alt und erfahren klingen, wie wir insgesamt zusammen spielen: 50 Jahre. Aber vielleicht ist es auch das altertümliche Equipment, das wir benutzt haben. Alte Mikrofone haben eine ganz bestimmte Weisheit, sie könnten Geschichten erzählen: „In mich hat Sinatra gesungen, ich gehörte mal einem berühmten Produzenten.“
Sie sind für die Aufnahmen in eine Scheune in Big Sur, Kalifornien gegangen. Ein einsamer Ort.
Als die Songs da waren, wusste ich, dass ich sie an einem Ort aufnehmen muss, der für mich neu ist. Nicht die Ostküste, nächster Halt Europa, sondern die Westküste, nächster Halt War-ich-noch-nie. Wir fanden diese verlassene Scheune, Stunden von der nächsten Stadt entfernt. Früher war sie Teil einer Farm, dann nutzte eine Malerin sie als Atelier. Die Aura der Jahre, die surreale Landschaft.
In einer Dokumentation über Ihr letztes Album sagen Sie, Sie seien beim Aufnehmen vor allem auf der Suche nach Fehlern, nach dem Unvorhersehbaren. Was war diesmal Ihr Lieblingsfehler?
Als wir anfingen aufzunehmen, hatten wir überall jede Menge Mikrofone aufgestellt, im Flur, im Garten, in der Abstellkammer. Wir wollten sie nacheinander ausprobieren und hören, ob etwas Gutes dabei herauskommt. Doch aus Versehen waren bei den ersten Takes alle Mikrofone an – wir bekamen diesen sehr weiten Sound, total großartig. Danach hatte ich gesucht – ich wollte, dass Klangwinde durch die Musik wehen, einen Offenes-Fenster-Sound. Wir haben auf die Windrichtung geachtet, wie ein Kapitän, der seinen Finger anleckt und in die Luft hält. Weniger Brill Building und mehr Naturalismus.
Sie beschreiben diese Dinge sehr poetisch.
Wir sprechen über Musik meistens in Bildern: Diese Akkordfolge ist das umgedrehte Segelboot, dieser Refrain ist der klingende Wind, diese Melodie die Galaxie OX1. Wir hatten Streicher im Studio, denen habe ich gesagt, sie sollten spielen wie ein Orakel auf dem Berg, mit einer Stimme, allwissend.
Sie singen sensible Lieder, treten aber auch in Glitzerkostümen auf. Sind Sie ein intro- oder extrovertierter Mensch?
Ich kann sehr tief hinabsteigen, doch zu tief ist nicht gut – meine Eltern sagen, ich sei früher so eine Träumerin gewesen, dass ich oft selbst nicht wusste, ob ich wach bin oder schlafe. Aber ich kann trotzdem auch der gute Kumpel sein, mit dem man vier Stunden lang auf eine Fahrradtour gehen kann.