Das neue Zeitalter möchte Technikoptimist HERBIE HANCOCK nun mit Electro-Jazz-Avantgarde einleiten
Für ein Gespräch mit Herbie Hancock braucht man vor allem eins: viel Zeit. Der Jazz-Grenzgänger und Miles-Davis-Gefährte entwickelt seine Gedanken in langen Erläuterungen und besteht freundlich, aber unnachgiebig darauf, sich dabei nicht unterbrechen zu lassen. Das ist auch Strategie: Hancock mag keine Interviews, und anstatt einen unliebsam verlaufenden Dialog zu riskieren, verwandelt er das Gespräch lieber in einen Vortrag. No offence – Hancock, im 61. Lebensjahr längst umgeben von der Würde eines Altmeisters, ist trotz offen zur Schau gestellten Desinteresses ein angenehmer Mensch, dem zuzuhören sich fraglos lohnt.
Zum Zeitpunkt unseres Treffens ist Hancock unterwegs, um sein neues Album live vorzustellen. „“Future2Future“ ist die erste Kollaboration mit Produzent Bill Laswell seit mehr als einer Dekade -Hancock und Laswell hatten in den 80er Jahren eine Werktrilogie geschaffen, an deren Anfang das Album „Futiire Shock“ und die nicht selten als bahnbrechend bezeichnete, New Jazz und Breakdance vereinende Single „“Rock it“ stand. „un, so Hancock, sei es Zeit für den erneuten Brückenschlag. „“Ich möchte mit meiner Musik dazu inspirieren, die Dinge des „Lebens von anderen Standpunkten aus zu betrachten“, erklärt sich Hancock, „wir müssen raus aus unseren Kisten, sonst bleiben wir für immer dumm.“ Diese Mission findet mit „“Future2Future“ em& entsprechende musikalische Umsetzung.
Bill Laswell treibt Hancock in die direkte Auseinandersetzung mit Drum’n’Bass-Patterns und Ethno-Jazz-Freispielen, die zum Teil von Elektro-Pionieren wie Rob Swift und A Guy Called Gerald vorbereitet wurden, und es entstanden subtile Arrangements, die viel begehbaren Grund jenseits der ausgetretenen Pfade finden. Das Neue zu illustrieren, ist auch im Gespräch Hancocks erstes Anliegen. Der erklärte Buddhist und Technologie-Fan spricht vom „“neuen Zeitalter“ und wähnt ganz eins mit allerlei Digitalphilosophen und Technikoptimisten – im richtig genutzten Computer ein sinnträchtiges Werkzeug des Menschen auf dem Weg in eine glorreiche Zukunft. „“Knowledge is the past/ It is technology/ Wisdom is the future/ It is philosophy“, zitiert Hancock ein seinem neuen Werk vorangestelltes Poem und erkennt in Königin Jazz natürlich die rechte Partnerin an der Seite der Elektro-Avantgarde, um solchen Wandel im Künstlerischen vorwegzunehmen. „“Der menschliche Geist“, unkt Hancock, „ist in der Lage, aus Gift Medizin zu machen.“
Einige Stunden später auf der Bühne ist von solchem Sendungsbewusstsein viel zu spüren. Hancock rezitiert die eben gesagten Worte, und kurz meint man, in einen Vertrag geraten zu sein. Doch dann steigen er und seine fünf Mitmusiker/innen ein in eine beeindruckende Version des neuen Tracks „“This Is Bob Swift“: Das Surround-Soundsystem holt den Zuschauer ins Zentrum des Geschehens, ein Computer setzt den frei fluktuierenden New Jazz simultan in einen kaleidoskopischen Farbrausch um, und Hancock führt sein Ensemble in eine ekstatische Improvisation, als gelte es, den Paradigmenwechsel in einem einzigen ungebremsten Anwurf zu bewältigen.
Viel des an diesem Abend vorgestellten neuen Materials klingt auf verwirrende Wfeise vertraut Hancocks zweites Tetea-Tete mit der musikalischen Sprache der Gegenwart funktioniert – trotz mancher Verweise auf das eigene Oeuvre – als der nächste mögliche Beitrag im lange schon eröffneten Dialog zwischen Jazz und elektronischer Musik. „“Vielleicht“, hatte Hancock in unserem Gespräch eine Hoffnung geäußert, „“öffnet diese Platte ja ein Tor zur Musik der Zukunft – und ermutigt so andere, noch mehr solcher Tore zu finden.“