DAS NEUE NEUKÖLLN
Die Gentrifikation unserer Großstädte schreitet voran. Nach der Debatte um die Besetzung des Hamburger Gängeviertels und der Verwandlung des Berliner „Problembezirks“ Neukölln in eine internationale Hipster-Zone, schwenkt die Aufmerksamkeit pünktlich zur Buchmesse im Oktober auf das Frankfurter Bahnhofsviertel. Jenes überschaubare Straßenkarree im Schatten der Bankentürme, das seit Jahrzehnten von Halbwelt, Drogen und Prostitution geprägt ist. Eine surreale Zone, die einer dreckigen Filmkulisse gleicht, in der sonst so aufgeräumten Stadt. Frankfurt erfindet sich gerade neu, und der Aufbruch soll von diesem legendären Quartier ausgehen. Selbst herbe Traditionskneipen wie die Terminusklause, in der das Bier billig und der Umgang rustikal ist, haben sich bei Kunststudenten der Städelschule und szeneaffinen Bankern etabliert. Clubkultur-Altmeister Ata betreibt mit dem Plank die bekannteste Bar des Viertels. Gleich nebenan im Spätkauf Yok Yok holen sich Nachtschwärmer Äppelwoi aus Dosen und lungern auf der Straße herum. „Spritzen, Sex und Szeneköche“ titelt die heimische „FAZ“ und eine Titelgeschichte des „Zeit-Magazins“ zeichnet das Einsickern der Kulturszene in das derbe Umfeld nach. Starfotograf Juergen Teller setzt diese Neonwelt in Szene und schwärmt von der entspannten Herzlichkeit der Frankfurter („nicht so angestrengt cool wie in Berlin“). Die Einheimischen wundern sich ein wenig über die Aufmerksamkeit, wird doch ihr Bahnhofsviertel eine Aufwertung durch Szenetourismus und Spekulanten nur schwer verkraften. Nachttreffs wie das Lido oder die Intimbar haben bereits wieder geschlossen. Die hoffnungsvollen Ansätze einer neuen Clubkultur drohen zu verglühen, sobald die Realität der Geldstadt auch hier einzieht.