Das Licht bleibt aus
Selbst als sich die Erben zusammengerauft hatten, ging die Geheimnistuerei um das Nirvana-Boxset weiter
Der Plattenhändler denkt mit Schrecken an letzte Weihnachten, an die Johnny-Cash-Box, die alle haben wollten und kaum einer bekam, weil für Europa nicht schnell und billig genug produziert werden konnte. Wenn dieses Heft erscheint, stehen vielleicht schon Schlangen vor den Läden, werden Gutscheine für das Nirvana-Boxset „With Tbe Lights Out“ ausgegeben – unwahrscheinlich, aber erstens ist das Kistchen mit drei CDs und einer DVD eine der am dringendsten erwarteten Backkatalog-Veröffentlichungen der letzten Jahre. Und zweitens klangen die Ankündigungen nach erhöhtem Aufwand: Von einer temperaturempfindlichen Box war die Rede, die beim Anfassen ihre Farbe ändert. Hätte jemand geglaubt, die Überlebenden Krist Novoselic und Dave Grohl könnten sich je mit Cobain-Witwe Courtney Love zusammenraufen, nach all den gegenseitigen Beleidigungen? Die Box ist auch ein Zeichen der Versöhnung, und neben ihrem Okay gab Love unter anderem 109 Kassetten heraus, auf denen ihr Mann zu Hause Songideen festgehalten hatte. Dass mit dem wertvollen Erbe cleveres Marketing betrieben wurde – man erinnert sich an das Getue um den „letzten Nirvana-Song“, die „Greatest Hits“ und die zeitgleich veröffentlichten Tagebücher -, sollte einen nicht zu sehr wundern und ärgern.
Schon die Verbreitung des Tracklistings sorgte Ende Oktober für Aufregung und Diskussion. Eine rechtzeitige Bemusterung an die Presse gab es erwartungsgemäß nicht, und trotzdem konnte das englische „Q“ schon drei Wochen vor Erscheinen der Box eine ausführliche Rezension auf die Website stellen. Demnach bereiten vor allem die frühen Live- und Demoaufnahmen beim Hören einigen Schmerz, besonders eine Konzertversion von Led Zeppelins „Heartbreaker“. Da die Stücke chronologisch angeordnet sind, kann man im Verlauf der 81 Titel (von denen 68 unveröffentlicht sind, der Rest kommt von Singles und Compilations) Aufstieg und Fall der Band als fortlaufende Erzählung hören. Die kleine Musikmenge auf den drei regulären Alben wirkt dagegen fast ärmlich – obwohl der „Q“-Spion von sensationellen Neuentdeckungen nichts berichten konnte.
Das Ende der DVD zeigt Nirvana in einem Studio in Rio, Kurt Cobain am Schlagzeug, mit einer Coverversion von Jacques Brels „Seasons In The Sun“. Einen besseren Schluss hätte es nicht gegeben – aber wann kommt „Unplugged In New York“ auf DVD? Irgendwann. Das ist so sicher wie Weihnachten.