Das letzte gute Land – Arne Willander über das Finale von „Mad Men“
Zu den finalen Folgen von "Mad Men": Ein Blick zurück auf das amerikanische Leben in den 60er-Jahren, das wir so lange mit Don Draper durchschritten haben
Vielleicht muss man an den Anfang zurückgehen, um den Ausgang von „Mad Men“ antizipieren zu können. Dass Rachel Menken gestorben ist, hat genau die symbolische Fallhöhe, die der Serien-Schöpfer Matthew Weiner liebt. Rachel ist die jüdische Kaufhauserbin, die Draper in der ersten Staffel engagiert, die unzufrieden mit seinen Vorschlägen ist und die ihn schließlich auf das Dach des Gebäudes auf der Fifth Avenue führt, wo sie von ihrer einsamen Kindheit und von ihrem Hund erzählt. Sie sei nie verliebt gewesen, sagt sie schon vorher. „Das, was Sie unter Liebe verstehen, ist von Leuten wie mir als Slogan erfunden worden, um Strumpfhosen zu verkaufen“, entgegnet Draper. Sie erkennt in ihm den einsamen Außenseiter, eine verwandte Seele. Und Draper bringt das gesamte hartgesottene Existenzialismus-Programm auf den Tisch: „Wir werden allein geboren und sterben allein. Ich lebe, als gäbe es kein Morgen – denn es gibt keins.“ Vor dem Kuss wispert Draper: „Ich wusste, was ich wollte, seit du zum ersten Mal aus meinem Büro gestürmt bist.“ – „Du bist aus deinem Büro gestürmt“, sagt Rose – und es war nicht einmal Drapers Büro.
In der siebten Staffel hat der Mann, der die Frauen liebt, eine erotische Vision: Rachel führt eine Pelzjacke vor. Dann erfährt er, dass sie eine Woche zuvor gestorben ist. Bei der Totenwache steht er wie ein Schulbub an der Tür, das jüdische Zeremoniell wird im Hintergrund begangen. Die Schwester der Toten weiß, wer er ist. Zehn Jahre nach dem Moment auf dem Kaufhausdach möchte er wissen, wie Rachels Leben war. Sie hatte alles, was sie sich wünschte – aber sie hatte Don Draper nicht, denn er war verheiratet. Rachel Menken ist der Weg, den Draper 1960 nicht ging.
Vom Ende her betrachtet sieht „Mad Men“ natürlich wie ein Reißbrett-Entwurf aus, der brillanteste Reißbrett-Entwurf aller Zeiten freilich. Die Szene, wie der Nachbarssohn die einhütende Betty Draper auf dem Klo beobachtet, ihr anschließend sagt, wie hübsch sie sei, und eine Locke von ihr haben möchte, ist eines der Bravourstücke, und January Jones’ filigrane Darstellung von verwöhntem Töchterchen, prüdem blonden Gift und nervös-gelangweilter Hausmamsell muss immer wieder gepriesen werden. Matthew Weiner zeigt den Patriarchalismus und Sexismus jener Zeit, die Verfügbarkeit der Frauen, das Elend von Verhütung und Hausfrauen-Innuendo, die Heimlichkeit der Homosexualität, die schwiemeligen Zoten, das onkelhafte Getue, die Bigotterie, die Sauferei und die Spießigkeit. Der „gut aussehende Kriegsheld“, von dem es aus dem Fernseher tönt, ist nicht Kennedy, sondern Nixon.
Das Land, die Agentur haben gute Jahre hinter sich: die Eisenhower-Ära. Die Deutschen haben den Käfer von Volkswagen und die Franzosen die Atombombe, das sind schon die schlimmsten Kalamitäten für Amerika. „Exodus“ ist ein Bestseller und wird verfilmt, Joan Crawford ist alt geworden, im Fernsehen läuft „The Twilight Zone“. Alle rauchen jederzeit. Roger Sterling sagt: „Wir trinken, weil es guttut, wenn man ein bisschen angetütert ist. Wir trinken, weil Männer das eben tun.“ Männer träumen davon, Frauen in Wohnungen einzuschließen.
Matthew Weiner ist ein Full-circle-Mann, und er lässt seine Serie enden, indem er seine trostlosen Helden in letzte Wandlungen schickt. Der einäugige Ken Cosgrove, dessen Erzählung „Ein Ahorn an einem kalten Morgen in Vermont“ vor zehn Jahren in „Atlantic Monthly“ erschien, muss die Agentur verlassen und seine Etats an den von Ehrgeiz zerfressenen Pete Campbell übergeben, der dadurch Millionär wird. Nun ist Cosgrove endlich frei, um einen Roman zu schreiben, und erzählt Draper aufgekratzt vom „ungelebten Leben“. Dann übernimmt er aber den Posten des Werbeleiters bei Dow Chemical und wird damit zum Großkunden der Agentur, die ihn fallen ließ. Joan Harris, jetzt Geschäftsfrau, wird mit Herrenwitzen verspottet, und Peggy Olson sagt ihr, dass ihre Kleidung nicht hilfreich ist. Sterling trägt einen imposanten grauen Schnauzbart. Und Drapers Kopf sieht aus wie eine Rosine, die unter Hochdruck steht.
Am Ende der Dekade hat Don Draper fast alles verloren. Seine Welt ist untergegangen. Rachel Menken ist tot. Und Draper steht verkniffen und mit feuchten Augen vor dem Dämmern des Morgen.
Der Autor sah 2009 die erste Season von „Mad Men“. Alle weiteren Staffeln schaute er am Stück, doch die letzten Folgen guckt er einzeln