Das Leben einer Kriegerin
Nicht zu zierlich, um Geschichte zu machen: M.I.A. aus London ist die Bhangra-Dancehall-Sensation der Stunde - und hat überraschenderweise auch noch viel zu erzählen
Sie ist zierlich, sehr hübsch, und um ihren Hals baumelt ein kleiner Goldanhänger in Form eines M16-Schnellfeuergewehrs. Ende letzten Jahres hatte die 27jährige drei Maxi-Singles veröffentlicht und wurde trotzdem schon mit großen Stories gefeiert, von altehrwürdigen Blättern wie „New Yorker“ und“Independent“, bis zum notorisch hippen „Interview“. Maya Arulpragasam nennt sich M.I.A., was „Missing In Action“ bedeutet – und bei uns manchmal zu absurden Verwechslungen mit der gleichnamigen Berliner Band fuhrt Doch im Unterschied zu deren Sängerin Mieze ist die Londoner M.I.A. nicht nur oberflächlich frech, sondern auch künstlerisch wagemutig. Ihr atemberaubendes Debütalbum „Arular“ ist ein sensationeller Bastard aus HipHop, Bhangra, Dub, Dancehall und anderen urbanen Stammestänzen.
Dabei hätte alles ganz anders kommen können: Die 1986 nach England eingewanderte Tochter eines tamilischen Rebellenführers sollte nach ihrem Schulabschluß eigentlich in einer „arrangierten Hochzeit“ enden, an der Seite eines schnurrbärtigen Ehe-Paschas. Das waren jedenfalls die Pläne von Mayas Mutter, sollte die Tochter keinen Job oder Studienplatz bekommen. Also nervte das Mädchen den Rektor der berühmten Saint Martins Art School so lange, bis er ihr einen Vorstellungs-Termin gewährte. Maya sagte, sie wolle Film und Kunst studieren. „Gut“, gab er zurück „dann zeig mir mal deine Arbeiten.“
„Ich hab keine“, antwortete sie. „Dann kannst du auch nicht Kunst studieren!“ – „Ich muß aber, sonst schickt mich meine Mutter zum Heiraten nach Sri Lanka!“ Es ging so lange hin und her, bis Maya tatsächlich aufgenommen wurde.
Mit 22 Jahren hatte sie ihren Abschluß im Hauptfach Film und ging gleich danach auf Tour: Justine Frischmann von Elastica hatte sie engagiert, um eine Dokumentation über die Band zu drehen. Doch noch bevor der Film fertig war, trennten Elastica sich. Maya verlegte ihren künstlerischen Schwerpunkt nun auf Musik, denn Peaches die bei der Elastica-Tour im Vorprogramm spielte – hatte ihr gezeigt, wie man eine Roland MC-505 Groovebox bedient. Dieses Gerät, eine Mischung aus Drum-Machine und Keyboard, steht auch im Mittelpunkt von M.L.A.s Debütalbum. Produziert von Querköpfen wie dem ehemaligen Bastard-Popper Richard X und dem Ex-Pulp-Mitglied Steve Mackey, rappt sie kämpferische Zeilen („Like PLO we don’t surrender“) und verfällt immer wieder in einen einzigartigen Stottersingsang. Im Hintergrund klöppeln Marimbas, donnern die Bässe.“Mein Lieblingssong ist ,Pull Up The People‘, eine Zusammenarbeit mit Dave Taylor von Switch. Wenn es nach Dave gegangen wäre, hätte ich auch auf dem letzten The Streets-Album gesungen, aber ich hatte keine Lust, etwas mit diesem Football-Dude zu machen. Was ich zu sagen habe, ist mir zu wichtig, um es mit anderen abzustimmen.“
„Ich habe oft das Gefühl, ich sollte etwas tun, mir das nicht alles bieten lassen. Die Leute sprechen mich auf meinen M16Anhänger an, aber wenn Bush droht, den Iran zu überfallen, sagt keiner was. Das kommt in meiner Musik zum Vorschein. Ich wünsche mir oft, daß das Leben schön und nett wäre. Ist es aber nicht Das Gegenteil von schönen Lügen ist eben die grausame Wahrheit“
Und die klang selten so inspiriert, frisch und mitreißend wie auf „Arular“.