Peter Maffay – Das lästige Image als Schnulzenrocker
Das lästige Image als Schnulzenrocker hat PETER MAFFAY mit stoischer Strategie abgeschüttelt. Nun hat er ein Album mit Musikern aus der ganzen Welt eingespielt.
Irgendwo im Norden Mallorcas, dort, wo sich die Insel manchmal von den Pauschaltouristen noch erholen darf, grast neuerdings eine Herde von gut zweihundert Schafen. Manchmal steht, zwischen vier Olivenbäumen im Halbkreis, „einem wahrhaft magischen Ort“, ein unscheinbarer Mann – und scheint über den Gang der Welt zu sinnieren. Die Ländereien, die Tiere sind sein. In Deutschland, seiner Wahlheimat, hätte der Traum vom einfachen Landleben auf Zeit nie Wirklichkeit werden können. Dort wäre mit Busladungen Schaulustiger zu rechnen gewesen, und hätte er auch jene spitzfindigen Kulturverwalter am Gartenzaun lehnen sehen, die ihn sei 25 Jahren zur lächerlichen Figur machen möchten. Sie sind weniger geworden, ärgern ihn jedoch bis heute gewaltig. Auch deshalb kehrt Peter Maffay stets beharrlich in nördliche Gefilde zurück.
Der gebürtige Rumäne ist ein harter Brocken für jeden Gegner. Als er 1976 nach einem Dutzend Hits keine Lust mehr hatte, aus den bunten Kulissen der Schlagerparaden zu lächeln, proklamierte Maffay sich zum Rocker mit grimmigem Blick. Viele haben ihm das nicht geglaubt, noch mehr allerdings besaßen jetzt einen neuen Helden. Und als er in den Achtzigern begann, die dummen Fragen mit klugen Antworten zu parieren, warf ihm die gekränkte Schar seiner Verächter Arroganz vor und wollte ihm wieder nicht glauben. Seither glaubt Peter Maffay am liebsten an sich selbst und einige gute Freunde und zwingt einen Feind nach dem anderen sachte in die Knie.
Lange bekannte Qualitäten entdeckte man plötzlich auf seinem Album „96“ ganz neu, attestierte ihm jene Reifung und Konsequenz, die man sich von der vormals gelobten Konkurrenz nach Pfefferminz und Currywurst vergeblich erhofft hatte – und begann, sich kleinlaut zu entschuldigen. Maffay nahm generös an und freute sich, daß der halben Million Begeisterter, die ihm in Hallen und Stadien bei Balladen, Beatles-Songs und Boogie zujubelten, ihre Liebe zum Peter nicht mehr als Peinlichkeit ausgelegt wurde.
Schöne Erfahrungen, die Maffay, dem vorsichtigen Strategen und peniblen Richter eigener Ideen, Wünsche und Möglichkeiten, einiges an Mut, vielleicht sogar Übermut eingeflößt haben. Und so startete der 48jährige im Frühling vergangenen Jahres sein bisher ehrgeizigstes und sicherlich riskantestes Projekt Reisen, so sagt er in gewogenen Worten, fanden seit langem in seinem Kopf „wie auch im wirklichen Leben schon statt. Wir bringen als Lebewesen eine ungeheure Vielfalt ein – und derer sollte man sich bedienen“.
Wochenlang hat er mit Freunden und jenen, die es noch werden sollten, telefoniert, dann packten er und seine Musiker ihre Kofier und gingen auf Weltreise. Vom Domizil in Tutzing am Starnberger See nach Australien und Afrika, Paris, Israel, Louisiana und Istanbul. Um Leute zu treffen, „die keinen Wert auf Eingrenzungen legen, die geistige Freizügigkeit leben und Dinge wie die Hautfarbe oder Religion nicht allzu bedeutend finden“. Und die auch bereit waren, mit Deutschlands erfolgreichstem Rockstar ein Lied aufzunehmen, das ihnen zumindest vor fünf Jahren möglicherweise noch zur Rufschädigung gereicht hätte.
Als Heimgesuchte jedoch haben sich die Gastgeber offensichtlich keinen Moment lang gefühlt. Natürlich hatte der Reisende, kein Freund unliebsamer Zufalle und deshalb verliebt in ausgetüftelte Logistik, es den Kolleginnen und Kollegen leichtgemacht und ausschließlich deren eigenen Songs auf seine Wunschliste für das Duett geschrieben. Das indes klärt bloß zur Hälfte, warum die zehn „Begegnungen “ des Peter Maffay, ergänzt um knappe Reiseandenken zum Intro und Aufnahmen von seiner Hausband, so ungemein beseelt und regelrecht gierig nach neuen Horizonten klingen.
Diese hat allen voran der Initiator persönlich entdeckt. Nur zwei kurze Strophen intoniert Peter Maffay in jener Sprache, die ihm früher malals „fast zwingendes Ausdrucksmittel eines in Deutschland lebenden Künstlers“ galt, ansonsten gewinnt seine Stimme den Kampf mit englischen Idiomen und sogar afrikanischen Stammessprachen. Ohne den Versuch, dabei auch gleich noch seine Partner niederzuringen. Wir dürfen staunen. Über Maffay, den Weltmusikanten, der mit Sonny Landreth und Keb‘ Mo‘ wunderbare kleine Blues-Dramen inszeniert, mit der Ägypterin Natacha Adas und der Jemenitin Noa flirtet, mit Yothu Yindi die Götter der australischen Outbacks beschwört, Lokua Kanza in den Schoß von Mutter Afrika folgt; der sich mit dem Dänen Nikolaj Steen an den Good Ol‘ Rock-’n’Roll erinnert, mit dem deutsch-türkischen Cartel rappt, zu rumänischen Weisen seines einstigen Landsmanns George Angelescu tanzt und mit Wonne sogar an der Vfermessenheit zu kratzen wagt, wenn er Jose Carreras an seine Seite bittet.
Mit gedrechselten Vorwürfen und spöttischen Attacken hat Peter Maffay, natürlich, gerechnet, und seine Antworten liegen parat. Von „Entfernungen im Kopf, die sich verkürzen lassen, wenn man sich mit fremden Menschen und Kulturen befaßt“ ist die Rede, und „Nein, das Experiment soll nicht etwa beweisen, daß gerade ich solch eine Sache auf die Beine stellen kann“. Es riecht nach Message – doch es riecht nicht übel „Du kannst mit den acht Tönen der Tonleiter unendlich viele Farben malen, und das will ich mir nicht nehmen lassen, für keinen Preis.“ Auch nicht für den dauerhaft garantierten Erfolg. „Ich mußte mir doch überlegen, was nach einem Album wie ,96′ wohl kommen könnte. Das war ein unerwartet erfolgreiches Ding, mit einer schönen Tour im Anschluß, und da noch einen draufgeben zu wollen, wäre kalter Kaffee gewesen, unkreativ, nur eine billige Doublette.“ Von denen hat er seinem Konto schon genügend gutgeschrieben.
Statt dessen nun also der Versuch eines Musikers, der „keinen Bock mehr“ hat, „um jeden Preis jemandem zu gefallen, was ich ja viele Jahre lang versucht habe“, sich eine Zukunft jenseits eingerittener Attitüden zumindest vorstellen zu können. Kein Egotrip, nur das nicht, und die Stars sollten diesmal auch andere Namen tragen, „das war das Angebot von mir und meiner Band. Ich bin ja schon längst nicht mehr der Vorturner, hinter dem lange Zeit überhaupt nichts kommt.“ Nicht immer treffen Maffays Reflektionen mitten ins Schwarze.
Über die bisher wichtigsten Adressaten seiner Wünsche für das Leben nach dem ledernen Abziehbild aber weiß Maffay nur von besten Erfahrungen zu erzählen – solange er nur beiläufig von „Satelliten, die viele Musiker umgeben, von Managern, Plattenfirmen und Anwälten“ berichtet, „durch welche eine simple Absprache von Künstler zu Künstler bisweilen zum Problem und zur Makulatur wird“. Natürlich habe er es „einem Van Morrison, mit dessen Arbeit ich sehr viel anfangen kann und den ich gern als Partner gehabt hätte, nicht verdenken können, die Antwort aufsein Anliegen schuldig geblieben zu sein. Anderen wiederum sei es „gleich um Kohle“ gegangen, „und so hatten wir das eben nicht geplant“. Daß er das teure Projekt vielmehr nur nach einem tiefen Griff in die eigene Tasche hat finanzieren können, verschweigt Peter Maffay galant. Dafür sollen ihn die Leute nun ganz bestimmt nicht noch mehr lieben.
Wenn sie es denn überhaupt weiterhin in gewohnter Weise tun. Den Kritikern mit seinen „Begegnungen“ einen Grund zum Nachdenken zu liefern, war noch kein Husarenstück. Eingeschworenen Fans jedoch, selbst wenn sie das gängige Klischee des provinziellen Michels nur in Minoritäten erfüllen, mutet Peter Maffay einiges zu. „Das ist, sprachlich schon, harter Tobak für alle“, sagt er und hofft zu übertreiben. „Aber ich muß mich bewegen, kann unmöglich ewig auf einer Schiene bleiben – und wenn wir den Leuten ab und zu Steine in den Weg legen, kann auch das Stolpern oder sogar Hinfallen manchmal nützlich sein. Es rüttelt sie wach, und ich glaube sowieso nicht, daß alle stets nur alte, schöne Erinnerungen ins Gedächtnis zurückgerufen haben wollen.“
Anhalten läßt sich dieser Zug, den Maffay beschleunigt hat, ohnehin nicht mehr. Auch wenn sich der Skeptiker im Angesicht des eigenen Schaffens, der stets auf hundertprozentige Kontrolle bedacht ist, müht, wenigstens alle entscheidenden Weichen höchstpersönlich zu stellen. Im Herbst, wenn er seine „Begegnungen“ mit allen dort vertretenen Freunden (mit Ausnahme von Jose Carreras) auf deutsche Bühnen bringen will, wird sich zeigen, was denn das Volk seinem alten Helden noch erlaubt. Und bis dahin macht Peter Maffay sich Mut wie der kleine, grüne Drache Tabaluga. „Ich will nicht überheblich sein“, flüstert er fast „Aber ich halte zumindest nichts mehr für gefährlich.“
Die Angst müssen dann wohl jetzt andere haben.