DAS JAHR, IN DEM DIE ZUKUNFT BEGANN
Das jahr war besser als sein Ruf. Es kannte kaum einen dominierenden Trend, aber viele spannende Kontroversen. Es hatte in Nick Cave einen überragenden, unerwartet konsensfähigen Rockkünstler und fand in Edward Snowden den nerdigen Posterboy des digitalen Zeitalters. Es war das Jahr, in dem wir lernten, dass wir Orwells „big brother is watching you“ durchaus wörtlich nehmen dürfen, dass wir tatsächlich auf Schritt und Tritt überwacht werden. Oder, wie Nick Cave singt: „We know who you are/We know where you live.“
Nichts verändert sich schneller als die Musik. Nichts ist flüchtiger und zukunftsorientierter als Popkultur – wo Retroseligkeit und Fortschritt nebeneinander wirken. Wir erlebten 2013 neue Sensationen wie die Rap-Revolution des Kanye West und die Bombastrockwerdung des deutschen Rappers Caspar, die Rückkehr alter Rock-Helden wie den Queens Of The Stone Age und den Kings Of Leon, den endgültigen Durchbruch von Muse als Stadionband und den Triumphzug der in Würde gealterten Depeche Mode durch Deutschlands größte Arenen. Die Rolling Stones kamen leider nicht, aber landeten mit einem Live-Album auf Platz 2 der deutschen Charts -hinter Eminem, der alleine in den USA knapp 800.000 CDs bereits in der ersten Woche verkaufte. Das schaffte sonst nur Justin Timberlake.
Wir erlebten den Untergang der Liberalen und der Piraten, den Triumph von Angela Merkel und die Revolten der urbanen Hipster in Instanbul und Kiew. Pop und Politik fanden dennoch auch 2013 nicht wirklich zueinander, obwohl die CDU ihren Wahlsieg mit einem Toten-Hosen-Hit feierte (und die Band damit zu einer Distanzierung nötigte). Auch Kunst und Pop funktionierten selten zusammen, eine ratlose Lady Gaga heuerte den zum Klischee erstarrten Jeff Koons an und ging damit unter. Überhaupt: Alle Alben von als Nummer sicher geltenden meist weiblichen Stars floppten in 2013 – Lady Gaga, Katy Perry, Miley Cyrus blieben weit hinter den Erwartungen der Musikindustrie zurück, sie klangen aber auch furchtbar alt und hausbacken. Ach, das Album: Die Königsdiziplin des Rock’n’Roll ist vom Aussterben bedroht, der Pubertierende von Heute will bloß noch Songs im Netz hören, in immer schnellerer Wechselfrequenz und ohne zu zahlen, so beklagten es Plattensammler und Wirtschaftsmagazine. Gleichzeitig meldete die Musikindustrie zum ersten Mal seit langen Jahren wieder ein Plus. Man verdient jetzt sogar mit Digitalangeboten, nicht viel, aber immerhin. Löwenanteil macht immer noch die doofe alte CD aus mit stabilen 70 Prozent. Und gewachsen wird in der Ein-Prozent-Vinylnische. Das mag für die Zukunft wenig Bedeuting haben, uns hier beim ROLLING STONE freut es trotzdem.