Das Ikarus Syndrom
Höher, schneller, weiter: Einmal mehr wurde die iove Parade als medialer Großkampftag gefeiert. Doch während sich der Berliner Senat ecstatysch die Hände reibt, breitet sich bei der Basis Katerstimmung aus. Die Rave-Revolution hat einen Popanz gezeugt, der nun die eigenen Kinder zu fressen droht.
„Was wir als Firma Ihnen anbieten können“, prahlte der von einem „Stern“-Reporter belauschte Techno-Zampano und JFrontpage“-Herausgeber Jürgen Laarmann im Lokal „Woolloomooloo“ letztes Jahr, „sind 600 000 junge Leute. Ein homogener Teil Ihrer Zielgruppe.“
Laarmnnns Ziel: Er wollte den versammelten Marketingmanagern (von Adidas bis Billy Boy) am Nachmittag vor der „Love Parade ’96“ bereits die „Love Parade ’97“ verkaufen. An diesem Tag tanzten zwar über 750 000 Techno-Konsumenten zielgruppengerecht durch Berlin – begleitet von 41 Sattelschleppern und den 500 000 Mark teuren Kampagnen der Hauptsponsoren Langnese, Camel und MTV. Die Marketing-Leute zeigten sich dennoch nur wenig beeindruckt und lernten im Laufe der Monate, daß das Image der Love Parade als undergroundige Speerspitze einer angeblich neuen Jugendbewegung erstaunlich stumpf geworden ist Die Folge: Langnese sprang ab, MTV überließ den Kinderfunkern von VTVA die Live-Übertragung, potentielle Neu-Sponsoren wie Coca Cola oder Heinecken wurden von den „horrenden Preisvorstellungen“ des Veranstalters vergrault: „Was auf der Love Parade betrieben wird“, erklärte Cola-Mann Volker Niemann der Zeitschrift „Horizont“, „ist aus unserer Sicht voller Kommerz. Leistung und Gegenleistung stehen in keinem Verhältnis.“ Als einziger neuer Sponsor sprang noch schnell die ARD auf den fast schon abgefahrenen Zug und schickte einen Wagen für die Vorabendserie „Marienhof“ auf die Parade. Ein ARD-Sprecher
erregt: „Freiheit, Liebe, Gleichheit diese Ideen der Love Parade sind genau dieselben wie bei ,Marienhof“.“
Camel-Vermarkter Markus öschger glaubt zwar zu wissen, daß sein Konzern durch die Love Parade keine Schachtel mehr verkauft, gab dennoch die Gelder fiir die ’97er Parade frei (Camel und „MarienhoP zahlten zusammen angeblich 1,4 Millionen Mark Sponsorengelder; die Veranstalter sprechen von 600 000 DM.) „Seit wir Techno sponsern“, sprach sich Oschger Trost zu, „kommen wir in der Welt der 18bis 24jährigen wieder vor.“ Dennoch zieht sich seit Anfang ’97 auch Camel langsam vom Techno-Sponsoring zurück: Die „Silverpages“, der von Camel finanzierte Veranstaltungskalender in „Frontpage“, wurden eingestellt, was der von Herausgeber Laarmann und dessen Faible fiir kostspielige Träumereien (Rave-TV, Technomode) ohnehin geschwächten Zeitschrift den Todesstoß versetzte.
Techno ist damit zwar noch längst nicht tot, aber er riecht immer strenger. Breite statt Tiefe ist das Motto, oder, wie’s die Hamburger House-DJane Heike Richter formuliert: „Techno gibt es eigentlich nur noch in der Dorfdisco.“.
Das Techno-Label-Konglomerat Eye Q, Harthouse und Recycle Or Die -Plattenheimat von Sven Vädi – meldete Konkurs an (s. Kasten), die Berliner Filiale der Plattenladenkette „Delirium“ machte dicht, und auch die Berliner Tanztempel der frühen 90er Jahre kämpfen gegen den Raver-Schwund. Höhepunkt der Technomüdigkeit: Ausgerechnet am Vorabend der Love Parade mußte „Paradise“, als größte Techno-Party seit Bestehen der Parade in der Max-Schmeling-Halle angekündigt, abgesagt werden. Von den 16 000 Tickets waren nicht mal 20 Prozent verkauft worden.
Das alles ändert nichts daran, daß die Berliner „Mega-Kirmes“ (Chris Häberlein von der Agentur Häberlein 8C Maurer) über die Jahre eine Mega-Karriere machen konnte. Am 2. Juli ’89 zuckelten gerade mal 150 bunte Techno-Gründer hinter dem VW-Bus von Matthias Roeingh her, mit dem er seine Stereoanlage über den Wittenbergplatz kutschierte. Der inzwischen 37jährige Ex-Punk taufte sich kurz darauf in Dr. Motte um und brütete Jahr für Jahr einen neuen Love Parade-Wahlspruch aus. Mottes provokantes Motto ’89: „Friede, Freude, Eierkuchen“.
Neun Jahre später taumelten am 12. Juli 1997 eine Million Raver zu Mottes Devise „Let die sun shine in your heart“ und der Musik von 39 Techno-Trucks durch Berlin, bescherten den örtlichen Diensdeistern 150 Millionen Mark Mehreinnahmen, hinterließen 200 Tonnen Müll und gössen 3000 zertretene Sträucher im „Tiergarten“ mit 750 000 Liter Urin. (Schon im letzten Jahr mußte das Areal zwei Wochen lang täglich gewässert werden, um die beißende Geruchsmischung aus Red BulL Ecstasy-Exkrementen und Gatorade zu verdünnen.) Die Veranstalter zahlten diesmal zwar die Müllbeseitigung aus eigener Tasche, alles andere jedoch wurde auf Staatskosten finanziert.
Wieder einmal war es dem 33jährigen schwäbischen Architekturstudenten Ralf Regitz mit seinen Firmen „Love Parade GmbH“ und „planetcom“ gelungen, den von ihm veranstalteten Massen-Rave als „politische Demonstration“ genehmigt zu bekommen. Dem Berliner Szene-Magazin „030“, letztes Jahr noch unter den Sponsoren, wurde der Spagat zwischen Wahn und Wirklichkeit zu anstrengend: „Es ist ziemlich verlogen, den verständlichen Wunsch nach Profit hinter pseudo-politischen Botschaften zu verstecken“, erklärt Mitarbeiter Stefan Sauerbrey die Entscheidung seiner Zeitschrift, dieses Jahr der Parade den Rücken zu kehren. „Warum stehen die Veranstalter nicht einfach dazu, daß aus der Underground-Demo für Techno-Fans eine einträgliche Massenveranstaltung geworden ist?“
Eine Frage, die sich leicht beantworten läßt Als Veranstalter einer gewerblichen Großveranstaltung müßte „planetcom“ auch die Gebühren für die Einsätze sämtlicher Begleit-Behörden und -Dienste begleichen. Bei einem Millionen-Fest kommen da schnell einige Hunderttausende zusammen.
Doch das will weder die „planetcom“ noch der Senat. CDU-Fraktionsvorsitzender Klaus Landowski spricht den Parteikollegen aus dem Herzen, wenn er Parade-Gegner als „piefige Miesmacher“ bezeichnet. Die Veranstaltung, erklärte er der „Berliner Morgenpost“, bringe „der Stadt mindestens zehn Millionen Mark“ Steuermehreinnahmen, dem Dienstleistungsgewerbe das Zehnfache, „von der kostenlosen Touristenwerbung ganz zu schweigen“.
Gegen solch gewichtige Argumente waren alle Versuche aus der rot-grünen Ecke, die Love Parade verbieten zu lassen, ebenso machtlos wie die düsteren Ankündigungen diverser Extrem-Grüppchen an beiden Rändern des politischen Spektrums. Vier Tage vor der Love Parade machte die Berliner Polizei eine Razzia in 31 konspirativrechtsradikalen Wohnungen, nachdem in einem Drohbrief angekündigt wurde, die Love Parade mit Hilfe von drei umgebauten russischen Panzerminen zu sprengen. Doch weder die Rechten noch der gefürchtete Mob aus Punks und Autonomen, die angeblich die Hannoveraner „Chaostage“ in diesem Jahr 200 Kilometer nach Osten verlegen wollten, ließen sich in Berlin blicken. Und auch das winzige Grüppchen der Hardcore-Gabba-Fans mit ihrem 300 bpm-Lieferwagen am Ernst-Reuter-Platz wurde kaum beachtet Der „planeteom“-Sprecher Peter Lützenkirchen hätte sich seinen nicht gerade von Menschenliebe zeugenden Ausfall gegen die Punks, die „einen in die Fresse kriegen“ werden (Interview in Junge Welt“ vom 4. Juli), sparen können.
Immerhin kann sich die Love Parade rühmen, dem gesellschaftspolitischen Diskurs in Deutschland einen unerwarteten Anstoß gegeben zu haben.
Womit aber nicht die Kernfrage beantwortet ist: Was zum Teufel soll ein Heer von pillenwerfenden Tanz-Süchtigen mit Politik zu tun haben? Die Veranstalter bemühten sich im Vorfeld um Erklärung: „Eine Generation tritt auf den Plan, der häufig Sprachlosigkeit nachgesagt wurde. Irrtum! Die Sprache hat sich nur geändert. Inhalte werden nicht mehr gefordert, sondern gelebt, die Grenzen zwischen Ziel und Wirklichkeit lösen sich auf.“
Letzteres trifft vermutlich auch auf Initiator Dr. Motte zu bei ihm lösen sich zumindest die Grenzen zwischen Wahn und Wirklichkeit immer weiter auf. In einem Interview mit der „Süddeutschen“ verkündete er: „Ich sehe keinen Unterschied zwischen Gott und mir. Gott ist in mir.“
Motte zelebrierte am Morgen der Parade ein kleines Trommelritual entlang der Strecke, um, wie er sagte, „Elfen und Dämonen einzuladen, an der Love Parade teilzuhaben. Dann können sie auch positiv für die Natur und die Love Parade arbeiten, denn Dämonen haben normalerweise keine Aufgabe, genau so wie die Gegner der Love Parade.“
Am Tag danach war er müde und wollte nicht mehr allzu viel reden. Vielleicht sagte er deshalb einen seiner raren klaren Sätze in das Reportermikro der „Berliner Zeitung“: „Ich wäre schön blöd, wenn ich die Love Parade nicht mehr in Berlin stattfinden lassen würde.“ Immerhin dachte der Motte-Dunstkreis im Vorfeld öffentlich darüber nach, die Veranstaltung ab dem kommenden Jahr zu dezentralisieren.
Frankreichs ehemaliger Kulturministerjack Lang war in einem umgebauten T34-Panzer (des „Berliner Ensembles“ vom Schiffbauerdamm) auf der ’97er Parade mitgefahren und rief bereits am Montag danach bei „planetcom“ an, um über einen Export der Love Parade-Idee nach Paris zu verhandeln. Regitz daraufhin: „Wir freuen uns schon auf lauter kleine Love Parade-Ableger. Auch in Australien könnte mit dem Logo der Love Parade gefeiert werden. Die Rechte zur Benutzung könnten an die jeweiligen Veranstalter übertragen werden.“ Gegen Lizenzgebühr, versteht sich.
Eine Gebühr, die natürlich nicht an den gemeinnützigen „Verein zur Förderung der Love Parade“ (Vorstand: Regitz) geht, sondern an die „Love Parade GmbH“. Deren Gesellschafter sind Regitz, Motte, Anwalt Andreas Scheuermann und William Roetger, dem auch das Techno-Label JLow Spirit“ (Marusha, Westbam, Mayday) gehört. Die GmbH sackt dazu auch sämtliche Sponsorengelder sowie die Merchandise-Einnahmen (Shirts, CDs, Bücher, Sticker, Basecaps) ein. Das große Geld ist mit der Love Parade-Veranstaltung selbst ohnehin nicht zu verdienen – Insider schätzen den möglichen Reingewinn auf gerade mal eine halbe Million Mark. Interessanter sind da schon die indirekten Einnahmequellen. Neben den Lizenz-Einnahmen der „Love Parade GmbH“ und den Merchandise-Umsätzen verdient Regitz über seine Firma „planetcom“ an Rave-Partys im Mittelmeerraum, an der von ihm erfundenen Techno-Kunstmesse „chromapark“, sowie an Folgeaufträgen wie die Gestaltung einer Messehalle auf der kommenden Internationalen Funkausstellung in Berlin.
Und so können unter dem Strich mit der Love Parade alle mehr als zufrieden sein: Berlin mit einer vergleichsweise superbilligen Touristik-Werbung, eine Million Raver, die einfach eine gute Party hatten, Regitz, Motte und Konsorten mit den gestiegenen Exportchancen – und schließlich die Berliner CDU mit ihrem neuen Image als Bewahrer der Rave-Kultur inmitten körperfeindlich-piefiger Sozis, die noch immer dem wohlreflektierten Ohnesorg-Theater der 68er Jahre hinterherflennen.
Ihnen sei zum Trost ein Schlußwort des geschätzten Kollegen Lorenz Schröter von der „Süddeutschen Zeitung“ zum dem Thema „unpolitische Jugend von heute“ mit auf ihren schweren Weg gegeben: „Die Pioniere von House/ Techno sind alle Mitte 30. Und doch gelten sie in den Augen der Öffentlichkeit als Jugendbewegung. Das ist traurig.
Wobei vergessen wird, daß den sogenannten politischen 68ern, die meistens nur 1972 einen Töpferkurs gemacht haben, das Soziologisieren und Adornisieren auch hauptsächlich dazu diente, Provinzhühner auf den Flokati zu ziehen.“