Das Herz einer Boxerin
UGO VALENTINO ist ein begabter junger Federgewichtler. Aber er ist auch eingebildet, sadistisch und dumm. Ehe er in Miami um die Weltmeisterschaft boxt, lässt er von einem dubiosen Mafioso in Rio ein paar Vale-Tudo-Kämpfe organisieren, bei denen er zur Belustigung seiner Fans gegen Frauen antritt. Normalerweise enden die Kämpfe für die tapferen Mädels im Krankenhaus. Doch bei Gina gerät er endlich an die Falsche. Die rothaarige Amazone hält sich an keine Absprachen, prügelt das verderbte Bürschchen ins Koma und macht sich mit dem Preisgeld aus dem Staub.
Diese Szene bildet das Zentrum von Ana Paula Maias Halunkenroman „Krieg der Bastarde“. Und wenn es ums Boxen geht, macht der 37-jährigen Brasilianerin keiner was vor. Mit ihrer atmosphärisch brillanten und technisch versierten Schilderung des ungleichen Kampfes kann sie sich jederzeit neben Joyce Carol Oates oder Leonard Gardner sehen lassen.
Gefragt, wo ihr inniges Verhältnis zur Gewalt herrührt, antwortet sie trocken: „Ich will ein Rowdy sein. Wenn ich ein Mann wäre, wäre ich ein Rowdy. Ich will Leute verprügeln, Leichen verbrennen. Ich will etwas anderes machen. Und das geht nur über die Literatur, weil ich im Leben nicht die Möglichkeiten dazu habe. Als Frau fühle ich mich übermäßig eingeschränkt. Es gibt unzählige Dinge, die ich gerne tun würde, für die ich aber nicht die entsprechende körperliche Verfassung habe.“
Entsprechend geht es auch sonst ziemlich rustikal zur Sache in dieser bildmächtig episodischen, recht eigentlich filmischen, ebenso schwarzen wie tragischen Komödie, in der ein paar Loser unverhofft an eine Tasche voller Koks kommen. Die Reisetasche mutiert alsbald zum Malteser Falken, hinter dem vom halbgaren Pornodarsteller über den schmierlappigen Mafiaimpresario bis hin zur beinamputierten Kunstfilmerin plötzlich alle her sind. Selbstredend fordert diese wilde Jagd jede Menge schuldige und weniger schuldige Opfer.
Das Ganze spielt in einer indifferenten kleinbürgerlich-proletarischen Vorstadt von Rio, könnte aber genauso gut in New Jersey oder meinetwegen Leipzig spielen. Zwar borgt sich Maia die offene, den Zufall gelegentlich überstrapazierende Struktur von Quentin Tarantinos Filmen aus, dafür wartet sie mit ein paar schrillen Figuren und Dialogen auf, für die selbst der Meister der coolen Sprüche lange grübeln müsste.
Kein Wunder, denn an der Schnittstelle von Kunst, Kommerz und Drogenhandel kennt sich Maia bestens aus. Mit zarten 18 Jahren powerte sie als Schlagzeugerin einer Punkband, las nebenher Dostojewski, trieb sich in der Szene herum und studierte Informatik und Medienwissenschaften. Danach arbeitete sie ein paar Jahre in der Werbebranche, ehe sie im Alter von 26 mit ihrem ersten Roman über einen nassforschen 17-Jährigen, dem die Globalisierungswelle den Boden unter den Füßen wegzieht, Aufsehen erregte.
Bereits da offenbarte sie einen Hang zum Abseitigen, der sich nun in „Krieg der Bastarde“ zu voller, prächtiger Blüte entfaltet.
„In meinen Büchern sind die Tode immer schrecklich und grausam. Das macht mir Angst, aber ich neige nun mal zu merkwürdigen Dingen“, bekennt sie. „Sehr merkwürdigen Dingen. Das ist meine schwarze Seite, meine schreckliche, gespenstische Seite.“
Entsprechend bekommen die halbgaren Künstler und Intellektuellen ebenso ihr Fett weg wie korrupte Bullen und übergewichtige Unterweltbosse. In ihrer Schilderung der einbeinigen Kunstfilmerin Edwigde D’Lambert, einer Art weiblicher Werner Herzog mit einer fatalen Neigung zum Kokain, seziert sie beispielsweise gekonnt eine selbsternannte Avantgarde, die ihr spärliches Talent mit ziemlich hochtrabenden Gesten und Exzessen übertüncht.
Doch hinter der beißenden Ironie und den üppig dargereichten Splatterszenen ist ein sensibles Gespür für ihre Protagonisten -orientierungslose thirtysomethings – zu erkennen, die angestrengt nach Wegen suchen, um der Verzweiflung zu entkommen, die sie am Ende ihrer Jugend erwartet.
Das gilt vor allem für Gina, die natürlich an Gina Gershon aus dem Wachowski-Geschwister-Thriller „Bound“ von 1996 erinnert, eine Preisboxerin, die mit 34 ihre besten Jahre hinter sich und nichts Zählbares vorzuweisen hat. Mit ihr hat Maia nicht nur eine grandiose illusionslose Pulp-Heldin geschaffen, sondern eine universelle Frauenfigur, in deren zähem, lakonischem Ringen um eine Perspektive jenseits von Boxringen und Kaschemmen sich die Erfahrungen von Millionen Frauen in den Schwellenländern bündeln.
Ana Paula Maias „Krieg der Bastarde“ ist in deutscher Übersetzung von Wanda Jakob im A1 Verlag erschienen und kostet 18,80 Euro