Das Glück der Unzufriedenheit
Neil Hannon alias The Divine Comedy erläutert die Songs seines meisterlichen neuen Albums - ein Porträt des Künstlers als suchender Mann
Es ist geschafft: Mit dem neuen Album, „Absent Friends“, laviert sich Neil Hannon endgültig aus dem Tagesgeschäft jugendverliebter Popmusik und erfüllt die großen Versprechen, die in dieser Karriere schon früh gemacht wurden. „Ich schätze, die Platte klingt… wohl erwachsener“, sagt Hannon und amüsiert sich über das Klischee, „ich bin sehr schnell von mir selbst gelangweilt, da muss man sich was einfallen lassen.“ Eingefallen ist Hannon ein Reigen wunderbarer Lieder. Das Wort hat nun der Künstler, Lied für Lied.
„ABSENT FRIENDS“
Ein guter Opener, nehme ich an – der Song bedeutet gleichzeitig eine ganze Menge und rein gar nichts. Es geht um Leute, die nicht mehr da, aber mir trotzdem vertraut scheinen. Die Charaktere in der Reihenfolge ihres Auftretens: die Schauspielerin Jean Seberg (so schön, so traurig); Woodbine Willy (ein Soldatenpriester, der im ersten Weltkrieg vor den Gefechten Zigaretten an die Soldaten verteilte); Steve Mc-Queen; Laika the Spacedog (der Hund, den die Russen als erstes Lebewesen ins All schossen); Oscar Wilde.
„STICKS AND STONES“
Ich versuche mehr und mehr, meine Songs nicht allein auf ein oder zwei Instrumente zu stellen, sondern sie breiter zu entwerfen. Deshalb sind so viele Orchesterparts und umständliche Arrangements auf der Platte. Außerdem höre ich im Moment viel Nina Simone und klassische Sachen wie Ravell und Kurt Weill. Das färbt ab. In der Mitte dieses Liedes hört man kurz eine Opernstimme – meine Frau nennt das den Star-Trek-Moment der Platte. Tatsächlich bin ich es, der da singt Wir haben meine Stimme mit einem billigen Synthesizer gesampelt und dann in einer höheren Lage abgespielt, was sehr amüsant klang. Weil wir uns nicht zusammengerissen haben, ist der Effekt jetzt überall auf der Platte. Das Akkordeon in der zweiten Strophe spielt mein alter Freund Yänn Tiersen (hat den Soundtrack zu „Die fabelhafte Welt der Anteile“‚komponiert, d. Red.). Wunderbar, wie alles plötzlich so französisch klingt.
„CHARMED LIFE“
Wenn ich jetzt mit fester Stimme verkünde, ich hätte gewusst, wohin es mit der Platte geht, ist das natürlich gelogen. Während ich diesen Song schrieb, durchlebte ich auf meinem Dachboden in Dublin eine Art Björk-Phase und knallte alles mit futuristischen Dance-Beats zu. Aber ich habe die Spuren verwischt Nun ist es ein kleines Lied, das ich der Tochter vorsinge.
„OUR MUTUAL FRIEND“
Die erste Zeile, „No matter how I try I just can’t get her out of my mind“, kam mir, als ich meinem Hund in Hampstead Heath ausführte. Von dort entwickelte sich eine dieser kleinen Short Stories – ich liebe diese Momente, wenn sich aus einer Geschichte und der richtigen Musik plötzlich ein killer moment ergibt Wie nach der Pointe am Schluss die Streicher immer und immer wieder das Thema spielen – das ist für meinen Geschmack das beste Stück Musik, das ich je geschrieben habe.
„MY IMAGINARY FRIEND“
Bloß ein kleines Lied über einen Jungen, der sich einen Fantasiefreund erfindet. Das Banjo habe ich gespielt! Der Name des Freundes, Benjamin, ist wohl inspiriert von Ben Folds, mit dem mich seit meiner USA-Tour 2002 eine recht enge Freundschaft verbindet Wir covern sogar schon gegenseitig unsere Lieder!
„COME HOME BILLY BIRD“
Ich hatte eine Art Reisebericht im Stil von ELOs „The Diary Of Horace Wimp“ im Kopf. Es geht um einen Geschäftsreisenden, dem auf einem Flug all die Dinge passieren, die gestressten Vielfliegern so passieren. Die erste Single des Albums – und eines der kompliziertesten Arrangements, die ich je entwickelt habe. Der Clou: Man hört es nicht
„THE WRECK OF TUE BFAUTIFUL“
Ein spukiges Lied mit gruseligen Klangeffekten und Gespensterstimmen – wir haben die Bandmaschine rauf und runter gedreht es war toll. Vordergründig geht es um ein Schiff, das verschrottet werden soll, sich aber auf der letzten Fahrt lieber selbst versenkt Hintergründig ist es eine Parabel auf einen Freund, dessen Namen ich natürlich nicht sage.
„FREEDOM ROAD“
Eine Trucker-Ballade. Während ich in den USA auf Tour war, hörte ich jede Menge Johnny Cash – das ist die einzige vernünftige Musik, die man unterwegs dort zu hören bekommt, und da ist mir dieses Riff eingefallen. Diese Geschichte von dem Mann, der als Kind eine Art Kerouac-Fantasie von absoluter Freiheit träumte und nun feststellt dass er irgendwie die Straße dorthin nicht gefunden hat – das ist meine Geschichte. Die Platte kreist um dieses Paradox: wie man glücklich sein kann und doch unerfüllt.