Das Gelbe vom Schrei
Der als Spaßbeutel verkannte Senor Coconut zeigt mit seinem neusten Werk, was japanische Wave-Helden mit der amerikanischen Exotica der Fünfziger zu tun haben
Es soll Leute geben, die Senor Coconut für einen Easy-Listening-Absahner halten. Einen Party-Clown, der Kraftwerks „Autobahn“ als rassigen Merengue serviert. Einen Remmidemmi-Schlawiner, der aus Evergreens wie „Smoke On The Water“ und „Smooth Operator“ feurige Fiesta-Hits zaubert. Hossa! Hauptsache, die Leute tanzen.
Und dann sind da noch die anderen, die Elektro-Snobs. Diese an abstrakter elektronischer Musik interessierten Menschen wissen selbstverständlich, dass Senor Coconut nur eins von mehreren Dutzend Pseudonymen ist, unter denen Uwe Schmidt in 15 Jahren weit über hundert Platten veröffentlicht hat: Atomheart, Dataeide, Lassigue Bendthaus, Flanger, Ongaku oder Lisa Carbon Trio – der von Frankfurt in eine chilenische Kleinstadt ausgewanderte Schmidt ist im hyperelektronischen Mutanten-Jazz ebenso zu Hause wie im rüden Daddel-Techno oder im Gospel-Ambient.
Doch zurück zu Senor Coconut. Nach „El Baile Aleman“ und „Fiesta Songs“ kommt nun „Yellow Fever!“ in die Läden. Nach Kraftwerk und Pop-Rock-Klassikern steht diesmal die Musik der japanischen Elektro-Pop-Pioniere Yellow Magic Orchestra im Mittelpunkt der lateinamerikanischen Party-Simulation. Und wie bei den anderen Senor-Coconut-Veröffentlichungen. so gibt es auch diesmal eigentlich gar kein Orchester, selbst wenn das noch so prominent auf dem Cover steht: Saxofone, Posaunen, Timbales und Salsa-Rasseln, fast die komplette orchestrale Pracht kommt aus dem Sampler. Nur in Einzelfällen wurden „echte“ Musiker aufgenommen, doch ihr Beitrag endet ebenso als Soundfile wie die Original-Musik alter Tanz-Orchester aus den 50er und 60er Jahren. „Hypereklektische Musik“, so nennt das Senor Schmidt, der Perez Prado ebenso liebt wie das Yellow Magic Orchestra. Und weil Schmidt weltweit einen exzellenten Ruf genießt, haben neben Mouse On Mars, Towa Tei, Akufen und Burnt Friedmann auch die ehemaligen YMO-Mitglieder Ryuichi Sakamoto, Haruomi Hosono und Yukihiro Takahashi an je einem „Yellow Fever“-Track mitgearbeitet. „I liked the one he did for Kraftwerk. So I was happy he asked me to do something this time“, freut sich der Oscar-Preisträger („The Last Emperor“) Sakamoto per Mail in rudimentärem Englisch. Zwischen 1978 und 1983 war das Yellow Magic Orchestra ein ausgesprochen erlesenes Pop-Vergnügen. Viel stärker als andere frühe Synthie-Popper verschmolz das Trio Einflüsse aus Pop, Jazz, Disco und japanischer Folklore zu einer farbenprächtigen Klangreise. Uwe Schmidt sieht darin eine Verwandtschaft zu Martin Denny – der amerikanische Bandleader hat in den späten Fünfzigern und frühen Sechzigern mit seiner Combo ähnliches getan: Mit einer Mischung aus Easy Listening, Möwengeschrei und den Klängen des Urwalds entführten seine „Exotica“-Alben die Menschen in künstliche Südsee-Paradiese. Nichts auf diesen Platten war authentisch – doch man konnte dazu fantastisch von Korallenriffen und Tiki-Göttern träumen.
Vielleicht versteht man besser, was Senor Coconut mit „hypereklektisch“ meint, wenn man weiß, dass er den Martin-Denny-Song „Firecracker“ ebenso gecovert hat wie das Yellow Magic Orchestra vor ihm. „Ich verwandle das Stück zurück in eine Simulation des speziellen Martin-Denny-Sounds“, sagt er. „Ich versuche damit eine Neugestaltung des Latino-Exotica-Sounds. Dabei habe ich die Zeitachse ebenso verlassen wie die konkrete ethnische oder regionale Zuordnung der Musik. Es geht mir nicht nur um die Rekreation von Stilen, sondern vor allem um das Erzeugen von Gefühlen, Bildern und Deja-vus.“
Das klingt deutlich raffinierter als Martin Denny und die Yellow Magic Orchestra-Originale. Doch unterm Strich bleibt es: perfekte Musik für die sommerliche Grill-Saison, zwischen Garten-Palmen, Plantschbecken und Steinlaternen von Habitat.