Das Fernsehen schillert
Ein Spielfilm beleuchtet das Leben des Friedrich Schiller, aber zu seinem 200. Todestag gibt es noch viel mehr zu sehen
Lieber ausbrennen als dahinzusiechen, lieber Freiheit spüren als an Gehorsamkeit zu ersticken, lieber früh sterben als lustlos zu vegetieren. Man muß etwas wagen, wenn man es zu etwas bringen will in der Kunst und im Leben, wenn Sturm und Drang auf Geist und Materie wirken, wenn Poesie und Leidenschaft Physis und Psyche heimsuchen. Im Notfall segnet man halt mit 45 Jahren das Zeitliche. So what! Dafür bleibt man möglicherweise ewig in Erinnerung, weil man Gedanken Raum gegeben hat, die bis dahin tief in den Herzen der Menschen schlummerten, weil die nicht wagten, das Undenkbare zu denken. Friedrich Schiller ist tot, recht lange schon. Am 9. Mai 1805 war Schluß, hauchte der große Dichter und Denker sein kurzes, aber heftiges Leben aus. In der Bilanz steht ein Werk, das bis heute Wirkung zeigt, das manche gerade voller Verwunderung wieder entdecken, jetzt, da der Schöpfer 200 Jahre tot ist. Nicht selten keimt dabei die Erkenntnis, daß einer wie Schiller, lebte er dieser Tage, wohl in einem Atemzug mit den ganz Großen erwähnt würde. John Lennon, Kurt Cobain, Friedrich Schiller – alles Weltbeweger auf ihre Art, große Seelen, denen vielleicht zu wenig Zeit blieb für das, was sie zu sagen hatten.
Man kommt auf diesen Vergleich, wenn man sieht, wie der Regisseur Martin Weinhart eine Episode aus des Dichters Streben verfilmt hat „Schiller“ heißt der Fernsehfilm (29. April, 20.45 Arte, 4. Mai, 20.15 ARD), zu dessen Beginn Matthias Schweighöfer auf edlem Roß durchs Gelände hetzt.
Eigentlich ist er Regimentsarzt in Stuttgart, aber es treibt ihn nach Mannheim, wo sein Stück „Die Räuber“ uraufgeführt wird. Er soll da nicht hin, sein Herzog hat es ihm verboten. Aber was scheren einen wie Schiller Verbote. Er desertiert kurzerhand, weil er dorthin will, wo für ihn das Leben pocht: ans Theater.
In Mannheim empfangen ihn Intrigen und Mißgunst, aber auch Erfolg und Zuneigung. Schiller ist auf dem besten Weg, einer der bedeutenden Söhne Mannheims zu werden, als ihn Krankheit immer wieder aufs Lager wirft, aber er schert sich nicht drum. Das Fieber treibt ihn weiter.
Martin Weinharts „Schiller“ ist eine gebrochene Heldengeschichte, eine mit einem Protagonisten, der brennt für das, was er fühlt, einer, der herausschreien muß, was herausgeschrieen werden muß, der dabei aber stets vor die Hunde zu gehen droht.
Mit Matthias Schweighöfer hat er die Rolle des Dichters perfekt besetzt. Schweighöfer gehört zu den aufstrebenden Popstars des neuen deutschen Films, und er spielt auch hier einen Popstar, der sich quält für seine Sache, der nicht immer genau weiß, wo er hin will, der aber ahnt, wie er dorthin kommt Er spielt seinen Schiller zeitlos, und es gibt Szenen, da würde man sich nicht wundern, spränge der Star gleich zu einer Band auf die Bühne.
Es ist nur ein Ausschnitt aus Schillers Leben, aber er macht wunderbar deutlich, daß die dieser Tage grassierenden Schiller-Festwochen nicht einzureihen sind in die übliche Gedenktagmanie, die sich in der Regel damit begnügt, große Namen kurz fallen zu lassen und sie dann nie wieder aufzuheben. Weinhart und Schweighöfer liefern Schiller lebendig, sie machen ihn und seine Stücke begreifbar, ohne großen Pomp, ganz schlicht, ganz einfach holen sie den großen Namen herunter vom hohen Denkmal, runter auf die Straße, wo Bedeutung erlangt, was gespielt wird.
Man versteht Schiller plötzlich anders, vielleicht sogar besser, und manche verstehen ihn vielleicht überhaupt zum ersten Mal. Allen zusammen bietet das deutsche Fernsehen in diesen Tagen so eine Art Schiller-Vollversorgung. Insbesondere am 1. Mai schillert es ganz besonders im sonst so oft wegen seiner Belanglosigkeit gescholtenen Medium.
Der Kulturkanal 3sat hat gleich 24 Stunden reserviert und läßt den Dichter aus beinahe allen Blickwinkeln beleuchten. Gezeigt wird ein Lesemarathon, bei dem auch hiesige Popstars rezitieren, gezeigt wird eine Oper (Don Carlos), und irgendwann darf auch Helge Schneider Schiller sein. Man kann das nicht alles sehen, aber man sollte wenigstens mal reinschauen und sich möglicherweise auch ergötzen an der Wiederholung von „Das literarische Quartett – reloaded“. Am 29. April schon sind Marcel Reich-Ranicki, Hellmuth Karasek, Iris Radisch und Elke Heidenreich im ZDF angetreten, noch einmal den eigentlich abgesetzten Streit ums Buch wiederzubeleben und sich möglichst rege zu äußern zu all dem, was Schiller in seinen 45 Lebensjahren an Dramen so unters Volk gebracht hat.
Natürlich läßt sich auch die ARD nicht lumpen und begibt sich am 8. Mai ab 2330 Uhr auf die Spuren des literarischen Popstars. Am Schluß einer langen Nacht mit einer „Wilhelm Tell“-Aufführung und einer ausführlichen Krankheitsdiagnose erklingt um kurz vor fünf am 200. Todestag am Ende der Schlußchor aus Beethovens neunter Sinfonie über Schillers „Ode an die Freude“, die Schweighöfer bei einem seiner schönsten Auftritte schon wunderbar trunken gelebt hat Spätestens da wird man sich fragen, ob dem Dichter dieser ganze Rummel durchweg gerecht wird. Es darf schon vorab bezweifelt werden, aber komme nun niemand mehr und sage, das Fernsehen habe sich nicht bemüht. Immerhin kann man mal guten Gewissens behaupten: Es läuft schon noch Gutes in der Kiste. Man muß nur intelligent genug sein, es aufspüren zu können und nicht aus Versehen bei Sat.1 in der „Schillerstraße“ zu landen – bei jenem Bauerntheater also, das außer dem Namen so gar nichts mit dem Thema zu tun hat.