Das Erbgut
Die Songs kann und muss man immer wieder auflegen, andere Ereignisse der Dekade sind nicht wiederholbar. Umso mehr haben auch sie unsere Welt verändert – ein Schnellüberblick
1 Das Monster
Das Grauen lauert im Kinderzimmer: 1973 führte die 14-jährige Linda Blair in „Der Exorzist“ dem Kinopublikum vor, welche grotesken Bedrohungen der eigene Haushalt zu bieten hat. Von Wes Cravens „The Last House On The Left“ bis zu den Teenie-Slashern der späten Jahre präsentierte die Dekade die schlimmsten verkleideten Monster – welche Ängste sie verkörperten, klärte sich später auf der Psycho-Couch.
2 Der Wiederholer
Das 1976 eingeführte VHS-System der japanischen Firma JVC bereitete den Durchbruch des Videorekorders vor: Allein in Deutschland wurden 1979 schon knapp 300.000 Geräte verkauft – mit denen man freilich nicht nur „Dalli Dalli“ aufzeichnen, sondern auch heimlich und minderjährig Schmutzfilme jeder Art sehen konnte. Bald blühte auch die Zensur.
3 Die Gemütlichen
Angeblich wollte der Engländer Donald Dunnet eine innovative Eieruhr erfinden. Dass dabei die Lavalampe entstand, dankten ihm in den 70ern Millionen von erleuchteten Abhängern, die besonders gut denken konnten, wenn der Teppich flauschig und das Licht bunt und warm war. Die angenehme Dosis Wohngegenkultur.
4 Die Jet-Set-Frau
Bianca Pérez-Mora Macías, studierte Politikwissenschaftlerin, Model, zeitweise Mick-Jagger-Ehefrau, Deluxe-Gesellschaftsdame am Arm von Andy Warhol, die auf einem Schimmel durchs New Yorker Studio 54 ritt: Man träumt sich tatsächlich in die Zeit zurück, in der man sich auch mit so viel natürlicher Autorität noch als It-Girl qualifizieren konnte.
5 Das Symbol
Bo Derek ist heute so vergessen, dass man es kaum glaubt: 1979, als „10 – Die Traumfrau“ in die Kinos kam und sie in Badeanzug und Zeitlupe über den Strand joggte, galt sie als Sexgöttin des Jahrhunderts. Vielleicht der Beweis, dass man in so einem Fall doch mehr sein muss als eine Projektionsfläche.
6 Die Geste aller Gesten
Kanzler Willy Brandts Kniefall vor dem Ehrenmal der Helden des Warschauer Ghettos am 7. Dezember 1970 folgte angeblich einer spontanen Eingabe – die zu Hause nicht viele teilten: 48 Prozent der Deutschen fanden die Geste laut Umfrage überzogen. Umso eindrücklicher wirkt die Stellvertreterbitte um Vergebung noch heute: weil sie eben kein Feelgood-Ritual war.
7 Die Feinde
Das Deutungspotenzial ist ausgereizt: Man hat Baader, Meinhof, Ensslin und die anderen Mitglieder der ersten RAF-Generation zu Modeikonen erklärt, ihnen Verklemmungen nachgewiesen, dann wieder die Menschen in ihnen entdeckt. Manche erinnern sich aber vielleicht noch, wie sehr die Erwachsenen ins Stottern kamen, wenn die Kinder fragten, was die komischen Fahndungsplakate bedeuteten. Damals ging es um Angst, die gebannt werden musste. Alle weiteren Erklärungen mussten erstmal warten.
8 Der Messias
Dass Jesus ein cooler Hippie war, merkten die Menschen erst, als sie in Grünanlagen und Demozügen auch mal uncoole, unheilige Hippies sahen. Das Musical „Jesus Christ Superstar“ feierte 1971 Premiere – nur acht Jahre später verspotteten Monty Python in „Das Leben des Brian“ den Kult.
9 Das Auto
Dem Ford Mustang nachempfunden, brachte Opel im September 1970 das sportliche Männerauto auf den Markt: den Manta A, nicht nach einem Pferd, sondern einem Fisch benannt. Ein Identifikationsobjekt, an dem aller Spott abprallte.
10 Die Streiterin
Alice Schwarzer selbst war auf dem Titelbild der ersten „Emma“, die am 26. Januar 1977 erschien. Eine „Zeitschrift für Frauen von Frauen“, die schwierige Opposition gegen eine Männerdominanz, die es offiziell ja gar nicht gab: Es konnten ja immer alle mitreden. Dass jetzt auch wirklich zugehört wurde – eine stolze Errungenschaft.