Das Chart-Imperium schlägt zurück
Fast vier Jahrzehnte nach ihrer Geburtsstunde - und zwei fast finalen Krisen entpuppt sich die britische TV-Serie TOP OF THE POPS als später Exportschlager
Sechs Folgen waren fest, sechs weitere Option. Als am 1. Januar ’64 der DJ Jimmy Saville die Rolling Stones als erste Gäste der BBC-Jugendsendung „Top Of The Pops“ ansagte, da ahnte er wohl kaum, selbst drei Jahre beim Sender in Lohn und Brot zu stehen und nun, nach 1800 Folgen der Chart-Show, eine Party zur Präsentation des Best-OfVideos zu erleben. Mit langem, schlohweißem Haar, dicker Brille und Zigarre stand er da, grinste durch den „Red Cube Club“, grüßte Jarvis Cocker am Plattenspieler und wirkte nicht einmal wie ein Relikt.
Das hätte der Sendung schon viel eher passieren können. Zum einen hält man sich auch bei den öffendich-rechdichen Insulanern an bewährte Hausrezepte und folgt bis heute den Weisheiten von Johnnie Stewart, des ersten Produzenten der Show („Wir halten uns an die Charts, weil es immer Charts geben wird“) – und zum zweiten ist „Top Of The Pops“ inzwischen eine bereits zweimal vor dem Tod errettete, alte Dame. Zum ersten Mal am Grab stand sie 1977, gemeuchelt vom Punk, der zwar die Charts, nicht aber die dazu gehörige Show mochte. Dem letzten entging sie vor drei Jahren, als ein junger Phantast namens Chris Cowey den Dino vor dem Aussterben bewahrte.
Dun sei es „eine Herzensangelegenheit“ gewesen, sagt er, und die Show fast schon „so was wie ein heiliger GraL Ein ziemlich ungepflegter allerdings, denn die Leute vom Sender hatten noch nicht so ganz begriffen, dass Pop ein bisschen anders funktioniert als die TV-Unterhaltung für Altersheime.“ Also fing Cowey an zu entrümpeln, „schließlich kann ich keine Band anpöbeln, wenn ihr die Kulisse nicht gefällt Ich muss vielmehr die Kulisse ändern.“ Heute kämen die Künstler alle wieder gern,
„bei Top Of The Pops geht es so locker und lustig zu wie selten zuvor. Das ist wieder Rock’n’Roll!“
Und Big Business. Das Grundkonzept nämlich, in 29 Minuten die Ersten der Charts und zum Finale dann den Primus zu präsentieren, ist ehernes Gerüst, „weil es genial ist Ich fragte mich, warum noch niemand an den Export gedacht hatte.“ Cowey dachte nun daran, und weil der Mann nicht wegen seiner langen Haare zum Executive Producer gemacht geworden wat; lud man ein TV-Team nach dem anderen aus aller Welt in die Studios nach London. Ein folgenschwerer Tourismus: Inzwischen wird die Show nicht mehr nur von „BBC Prime“ in 70 Länder übertragen, 18 weitere strahlen sie in ihren eigenen Programmen aus. Mal das englische Original „wie die Japaner, die alles von unserer Insel irgendwie lieben“, mal mit eigenem Moderatoren-Team, mal wie in Deutschland seit zwei Jahren als eigene Produktion unter geliehenem Namen. Erst kürzlich wurde hier die hunderste Folge von TOTP gefeiert, Fortsetzung folgt Viel Arbeit hat Cowey nicht mit seinen Satelliten. „Ich muss in Deutschland keinem erzählen, wie man so ’ne Sendung macht Ich bin eher der,g«ardian ofthe brnnd‘.“ Eine Berufsauffassung, der TOTP sein Überleben verdankt Eigene Print-Magazine hat Cowey aus dem Boden gestampft, Sondersendungen mit Sendeplätzen versorgt, eine riesige Website aufgebaut, „und demnächst wird’s CD-Serien unter unserem Markenzeichen geben“.
Eine schwere Eroberung aber ist noch in der Planung: „Wir wollen den Amis ihre letzte Chance geben, eine Rolle bei der Wiedervereinigung der Popmusik auf dem Planeten zu spielen.“ Denn nur was nicht in Trends und Nischen sein Heil suche, so Cowey, habe ernsthafte Chancen, Generationen zu überdauern.