Das bessere L.A.
Ry Cooder erzählt vom Schicksal der Chicanos von Chavez Ravine - ein politisches Statement, ein Abschiedskuß an die eigene Kindheit
Chavez Ravine ist der Name einer bis in die 50er Jahre existenten Latino-Enklave am Rand von Los Angeles. Die dort wohnenden Chicanos lebten ärmlich und wurden kaum bemerkt; nur einmal geriet das knapp einen Quadratkilometer große Gebiet in den Hügeln des Elysian Park ins Stadtgespräch: Ein kalifornisches Wohnungsbauprogramm sah vor, L.A. zur ersten Slum-freien Stadt der USA zu machen, und auch Chavez Ravine sollte den Bulldozern zum Fraß vorgeworfen werden. Die Bewohner wurden zwangsweise umgesiedelt – eine schlimme Geschichte.
Doch es wurde nichts aus dem neuen Wohnen. Zwischendrin entlarvten die fleißigen Kommunistenjäger der McCarthy-Ära das Projekt als unamerikanisch, und schließlich wurde das kleine Tal beim Passadena Freeway zum Standort des neuen Dodger Stadium.
Das Schicksal der Chicanos zu Chavez Ravine, die gern in ihrem Tal geblieben wären, ist für Ry Cooder eine ganz passende Geschichte. Auf seinem neuen Album „Chavez Ravine“ wird der untergegangene Stadtteil zu einem „poor man’s Shangri-La“, einem Ort der intakten Bezüge und des simplen Lebens, einer Art letzten Bastion des irgendwie unschuldigen Amerikas, bevor die vielbeklagte Disneyfizierung dem Kontinent einen Schleier über die Augen legte.
„Natürlich ist dieses Album ein politisches Statement“, sagt Cooder, der für europäische Mediengespräche nach Paris eingeladen hatte. „Für mich spannt sich der Bogen des faschistischen, antidemokratischen und von Wirtschafts-Lobbyisten gelenkten US-Amerika von Mc-Carthy bis in die Bush-Ära. Ich sehe jeden Tag in den Zeitungen, wie sie ihre Pläne nun tatsächlich umsetzen, die Bürgerrechte beschneiden, ihr fürchterliches Amerika Realität werden lassen. Ich sag dir: Gegen die momentane Regierung war die Mc-Carthy-Bande ein Kindergarten.“
Nun soll man „Chavez Ravine“ auf keinen Fall aufs Politische reduzieren. Cooders neues Album ist ebenso das Album einer Heimkehr, die Erinnerung an ein L.A., das es nicht mehr gibt Und die Fortsetzung der vor vielen Jahren begonnenen Suche nach musikalischen Ursprüngen und folkloristischen Reinheiten. „Als ich aus Kuba zurückkam, fragte ich mich schon, was ich jetzt machen soll. Ich hatte dort die besten Musiker der Welt erlebt und etwas gehört, was es demnächst nicht mehr geben wird. Die Musik der Chicano-Community gehört zu dem L.A., in dem ich aufgewachsen bin. Sie zu erforschen, war eine tolle Herausforderung.“
Und so spürte Cooder – neben vielen anderen Kollaborateuren – mit Lalo Guerrero und Don Tosti zwei Patriarchen der Szene auf, alte (und inzwischen verstorbene) Meister, die sich an Chavez Ravine noch aus erster Hand erinnerten und für Cooder ein paar wunderbare Lieder sangen. „Wenn du dir sowas vornimmst, mußt du zuerst zu den Alten gehen“, erklärt Cooder. „Sie müssen dir sagen, ob du richtig liegst, und dich auf den Weg bringen. Sonst bleibst du ein Fremder und verwirkst die Legitimation, deine Geschichte zu erzählen.“
Eine Geschichte, die Brücken baut. Cooder vermengt Volkstümliches mit (von Sohn Joachim) elektronisch generierten, manchmal mit O-Tönen drapierten Klangszenarien und Folk-Blues-Jazz-Liedern, die sich gar nicht gegeneinander sträuben. Aus der Perspektive eines, tja, Außerirdischen entfaltet sich das ganze Drama vom glücklichen Leben im Ravine über die Zwangsumsiedlung bis hin zu melancholischen Rückblicken auf eine bessere Zeit. Cooder läßt fortschrittsbesessene Stadtplaner und engagierte Sozialarbeiter ebenso auftreten wie Bürger des Ravine und hat dabei durchaus das ein oder andere Problem mit dem Spagat zwischen künstlerischer Stilisierung und simpler Nacherzählung.
Aber man vergibt dem Gitarristen die narrative Schwäche und ist froh über eine äußerst gelungene Platte, die weniger als der Buena Vista Social Club eine Kulturschau ist, sondern Cooder als Komponist, Arrangeur und musikalischen Schatzjäger präsentiert. „Mir war zunächst nicht klar, wie schwer es sein würde, dieses Thema zu einer guten Platte zu verpacken“, gibt Cooder zu. „Ich habe mit befreundeten Schriftstellern und Regisseuren gesprochen, ich habe die Platte fertiggemacht, verworfen und völlig neu erfunden, bis aus meiner Sicht endlich alles gepaßt hat. Ein irrer Aufwand.“
Den Ausschlag für das Projekt gab übrigens ein Bildband des Fotografen Don Normark („Chavez Ravine, 1949“, Chronicle Books, San Francisco) der das gemeinschaftliche Lebensgefühl in der lost neighbourhood in sozialromantischen, aber dennoch sehr anrührenden Photos festhielt. „Diese Welt macht glücklich“, sagt Cooder. „Sie erinnert mich an ein besseres L.A., aber auch ganz generell an etwas Schönes, Friedliches, Ruhiges. An etwas, das mir gefällt“.