Darum sind handyfreie Konzerte ein Gewinn für alle
Dylan will keine Smartphones mehr sehen. Gut so, denn das bringt die Magie zurück in den Konzertsaal.
Konzertbesuche haben schon länger ihre Unschuld eingebüßt. Tickets sind allenfalls für Kleinstkünstler günstig zu bekommen, größere Taschen dürfen nur in Ausnahmefällen in den Saal genommen werden, Sicherheitschecks gehören zur Tagesordnung und ein Bier kostet so viel, dass sich schon beim zweiten die Frage stellt, ob sich das lohnt. Und nun sollen auch noch die Handys verschwinden?
Bob Dylan ist nicht der erste Musiker, der sich vor den Ablenkungsmaschinen schützen will. Auch Jack White ließ Zuhörer die Smartphones für einen Abend vergessen lassen. Analog-Puristen aus einer anderen Welt, in der das Wort Event keine Rolle spielt, unter sich? Das trifft nicht den Punkt. Natürlich ist das eine Einschränkung von Freiheit. Ich möchte ja selbst entscheiden, ob ich während einer Show mal eine Nachricht schreiben will oder vielleicht die langwierige Zeit zwischen Einlass und Beginn produktiv nutzen möchte. Und telefonieren hört man während eines Konzerts eigentlich niemanden. Das brächte ja auch wenig.
Es gibt keine Konzerte ohne Handys mehr
Aber es geht eben nicht nur ums Gebimmel und Geschwafel. Smartphones sind bei Musikauftritten omnipräsent, als Foto- und Video-Kamera, digitales Feuerzeug und Tonaufnahmegerät. Sie sind ein Störfaktor. Für Musikerin und Musiker auf der Bühne, weil Konzentration und Intimität flöten gehen (klar, das trifft einen Folk-Barden eher als eine Metal-Band). Für das Publikum, weil immer jemand ein Gerät in die Höhe hält, weil spontane Begegnungen während Konzerten weniger werden, wenn jeder in Momenten der Langeweile nur mit sich selbst und seinem Handy beschäftigt ist. Aber auch für jede Zuhörerin und jeden Zuhörer, weil die magische Erfahrung eines Konzerts, in dem eine Verbindung zwischen Bühne und Saal hergestellt wird, so verloren geht.
Man kennt es von der Serienerfahrung beim Streamen: Sobald die Konzentration einmal abfällt, das Handy gezückt wird, um sich vor der Langeweile zu schützen, ist der Spaß nur noch der halbe – und die Konzentration kommt auch nicht mehr so leicht zurück. Gänsehaut ausgeschlossen! Natürlich könnte man jetzt sagen, dass es doch ausreichen würde, wenn es vor jedem Konzert einfach die akustische Bitte gebe, dass Handys ausgeschaltet werden sollten. So wie das etwa im Kino gemacht wird. Das wäre zunächst eine gute Lösung. Doch so einfach ist es eben bei Konzerten nicht. Und da geht es gar nicht so sehr um die Vernunft eines Publikums, das den gutgemeinten Ratschlag beherzigt, sich weniger zerstreuen zu lassen, um dafür endlich wieder Musik mit allen Sinnen zu genießen.
Wir bringen uns um die Konzert-Magie
Einer der wichtigsten Gründe, warum Handys im Konzertsaal nichts mehr zu suchen haben sollten, ist ein ganz anderer: Musikerinnen, Musiker und Bands haben keine Lust mehr auf Experimente, weil sie rund um die Uhr aufgezeichnet werden. Zum Experimentieren gehört das Scheitern notwendigerweise dazu. Wer will etwas ausprobieren, wenn es vor den Augen der Welt gnadenlos auseinander genommen wird. Denn fast alles, was passiert während eines Konzerts, gerade wenn es sich vom Normalfall abhebt, landet im Internet.
Das führt dazu, dass Konzerte stromlinienförmiger werden, Überraschungen werden weniger. Setlists werden kaum variiert. Bühnenansagen wirken einstudierter oder harmloser (wer will etwas Provokantes sagen, wenn es morgen schon, aus dem Zusammenhang gerissen, überall steht). Und: Neue Songs erleben ihre Premiere erst auf dem eigenen Instagram-Kanal, aber nicht während eines Gigs.
Das ist schade, denn Live-Musik ist doch auch deshalb so kraftvoll, weil es einen spontanen Augenblick gibt, der mit nichts zu vergleichen ist. Die inflationäre Nutzung von Handys verkrüppelt solche Augenblicke und nimmt dem Moment die Aura. Sie für einen Abend in einer Tasche zu deponieren, auszuschalten oder gar zuhause zu lassen, ist ein Gewinn für alle.