Darum ist die Stimme von Amy Winehouse unsterblich
Die Rock’n’Roll-Story von Hedonismus und Exzess war eigentlich schon auserzählt, als Amy Winehouse sie noch einmal auf leben ließ.
Zehn Jahre nach ihrem Tod ist eine Künstlerin, wie Amy Winehouse sie mit all ihren Talenten und Schwächen verkörpert hat, undenkbar. Sie war vielleicht die letzte, die sich aus der Deckung einer perfekten Inszenierung und Vermarktungsmaschinerie hervorgewagt hat. Kein Stern, der vom Himmel fiel. Sondern einer, der verglühte, bevor wir ihn in voller Pracht gesehen haben. Einer, in dessen Abglanz sich eine Generation von Neo-Soul-Sängerinnen und -Sängern sonnt, von Valerie June über Curtis Harding bis zu Lianne La Havas.
Winehouse, geboren am 14. September 1983 im Norden Londons, war – ähnlich ihrem männlichen Pendant Pete Doherty – von Beginn ihrer Karriere an ein gefundenes Fressen für die Boulevardpresse. Die Klatschspalten der Nullerjahre wären ohne sie um eine schillernde Figur ärmer gewesen. Doch das Billie-Holiday-haft Kaputte, das Versoffene und Verrauchte, die Abstürze und derangierten Auftritte, das Lasziv-Bedröhnte, die mit Seemannstattoos und opulenter Beehive-Frisur ausgestattete Diva – all das verstellt nur den Blick auf den Menschen und die Musik dahinter, die Erinnerung an die große Stimme.
Mit Musik gegen die Verzweiflung
Die vielleicht entscheidende Zäsur im Leben von Amy Winehouse stellt die Trennung ihrer Eltern dar. Als Teenager in den 90er-Jahren zieht sie sich einerseits zurück und träumt sich zugleich immer mehr hinaus in die Welt ihrer Vorbilder. Das sind nicht etwa Aretha Franklin und Diana Ross, es sind Sarah Vaughan und Dinah Washington. So schafft sie sich ein atemberaubendes Repertoire aus Jazzklassikern drauf; gegen die innere Leere bekommt sie Antidepressiva.
Taylor James vermutet in seinem berührenden Erinnerungsband „Meine Amy“, dass hier bereits die Ursache für Winehouse’ spätere Suchtprobleme liegt. Nach Stationen an der Sylvia Young Theatre School und der renommierten BRIT School gelingt ihr der Sprung ins Pop-Business scheinbar mühelos. Ein paar Demos genügen für einen Vertrag mit Island Records.
2003 erscheint ihr Debütalbum, „Frank“, das zwar noch dem R&B-Sound der Neunziger verpflichtet ist, aber mit „Stronger Than Me“ und „Take The Box“ zwei Stücke enthält, die Winehouse’ unabweisbare Gesangskunst bar jeder Stimmakrobatik demonstrieren.
Ihr zwischen Swagger und Lamento, Beichte und Selbstbehauptung oszillierender Stil kommt schließlich 2006 auf „Back To Black“ zu voller Blüte. Die Platte dominiert mit Geniestreichen wie „Rehab“ und „You Know I’m No Good“ weltweit die Charts. Und plötzlich ist analoger Klang wieder cool. Die Produzenten Mark Ronson und Salaam Remi schneidern Winehouse diese Lieder auf den Leib. Doch der Erfolg verdankt sich vor allem dieser von Jazz und Rhythm & Blues durchtränkten Stimme. Denn sie erzählt etwas von den Abgründen der Liebe, das die meisten Menschen gern hinunterspülen.
Der Hilfeschrei, der in der Menge untergeht
Bei Amy Winehouse half irgendwann kein Whisky und kein Wodka mehr, um die Schmerzen zu betäuben. Dass sie am 23. Juli 2011 dem Club 27 beitrat, gehört zu den großen Tragödien der Popgeschichte und nährt den Mythos „Only the good die young“. Es wirft aber auch Fragen auf: Wo endet ein rebellischer Rock’n’Roll- Lifestyle? Wo fängt der Albtraum an? Der Hilfeschrei, der in der Menge untergeht – er steckt tief in der Musik von Amy Winehouse.