Danke Bohlen, danke Raab!
Für die Klugen in Deutschland war es seit 1945 nie leichter, einen Mann dermaßen zu verachten wie den Musikanten Dieter Bohlen, da er doch gar keine Urteilskraft hat, was seine eigenen Lieder betrifft – er hält sich ganz im Ernst für den auferstandenen Mozart. Die Klugen (und Neider) verzweifeln an Bohlen und seinen Hits und fassen es nicht, dass ausgerechnet er seit acht Jahren schon als Autorität gilt, im Namen von Deutschland sucht er jetzt erneut den Superstar:
Die siebte Staffel läuft, kein Mensch weiß mehr so genau, wer neben Bohlen in der Jury sitzt, die Typen sind egal, Hauptsache, der Dieter sagt was Spektakuläres (er nennt es immer die Wahrheit, niemand bezweifelt sie).
Die Sprache zerbricht in Sprüche, bzw. „meine Hammersprüche“, aber Bohlen ist für die Jugend und die Kandidaten ungefähr das, was früher der Philosoph Sokrates für die Athener Knaben und Mädchen bedeutete: ein Vorbild, eine Gottheit. Die Kandidaten scheinen es zu brauchen und zu genießen, dass Bohlen stets einen Ton wählt wie der Schinder im Kriegsfilm „Full Metal Jacket“.
Die Kandidaten, disqualifiziert und entwürdigt von Bohlen, erwachen aus ihrem Stumpfsinn und fühlen die Dringlichkeit des Lebens, wenigstens für diesen Moment oder vielleicht sogar ein paar Tage, falls der Schock nachwirkt. Wenn Bohlen lacht, dann ist auch das eine Drohung und ein Ansporn, sein Mund wird zum Dreieck, und er ähnelt dem Schurken Joker, wie Jack Nicholson ihn in dem „Batman“-Film darstellt.
Nur Joker Bohlen schafft es, den Zuhälterjargon vom Hamburger Kiez mit dem Jargon der Jugendlichen zu mischen („Das flasht mich nicht“), er hat auf seinem Gebiet inzwischen die Macht eines Reich-Ranicki, der ja ein Buch eigentlich schon verreißen kann, indem er kurz sein Gesicht verzieht, so seinen Ekel verdeutlicht und mit dem Finger auf das Buch zeigt.
Beim Richten und Abrichten ignoriert Bohlen souverän die Tatsache, dass kein Sänger außerhalb der Klassik singen können muss: Madonna und Randy Newman, beispielsweise, haben sehr wenig Stimme und sind trotzdem was geworden. Bohlen verweist auf seine eigenen Erfolge, seiner Ansicht nach ein Synonym für Qualität, höchstens den Showerfinder und Entertainer Stefan Raab betrachtet er als fast ebenbürtig.
Aus dem Gerede einer sächsischen Hausfrau baute Raab 1999 einen Countryschlager, „Yeah, I had more girls than James Brown and I fucked them all on the Maschendrahtzaun“, eine Genietat und an Originalität jedem Ton und jeder Zeile eines Günther Gabriel überlegen.
Raab entdeckt und fördert reihenweise Hochbegabte und verkauft seine Konzepte in viele Länder, er ist ein Weltstar und beweist seine Musikalität gleich auf mehreren Instrumenten.
Er macht nun das, was auch Bohlen gern machen würde, denn der Eurovision Song Contest soll ja immer noch was ganz Besonderes sein: Die ARD hat Raab um Rat gebeten, Deutschland war zu oft Letzter oder das Letzte. Der umworbene Raab, sein Stammsender Pro 7 und die ARD ermitteln jetzt, wer am 29. Mai in Oslo für Deutschland singt, die Zuschauer werden über diesen Vertreter entscheiden – Raab selbst war mal Fünfter mit seinem Hip-Hop-Quatsch „Wadde hadde dudde da“ und dem cleveren Ende, als er ruft „Watch this!“, worauf die Tänzerinnen sich entblößen.
Es reichen andere drei Minuten, um den Unterschied zwischen Raab und Bohlen zu begreifen, der Videoclip sollte regelmäßig im Fernsehen laufen, das ist Entertainment:
Vorm Bühnenausgang wartet Stefan Raab auf James Brown, den Soulgiganten aus dem „Maschendrahtzaun“, gerade hat Brown also ein Konzert beendet. Raab, seine Ukulele unterm Arm, stellt sich Brown in den Weg und sagt „Hey, let’s do ‚Sex Machine‘ together“, das verstört James Brown, er hat sogar ein bisschen Angst und guckt nach seinen Leibwächtern. Aber Raab nimmt seine Ukulele, diese Minigitarre, und spielt die zwei Akkorde von „Sex Machine“, seit 40 Jahren das Erkennungszeichen des Funk – und Brown entspannt sich sofort und grinst, dann singt er tatsächlich, Raab begleitet ihn, die Ukulele regiert!
Dieter Bohlen wäre es nie eingefallen, so was mit James Brown aufzuführen, er hätte Brown eher angeschnauzt und ihm vorgeworfen, etliche Töne nicht zu treffen. Für das ZDF-Publikum rangiert Bohlen wegen seiner historischen Größe bereits vor Beckenbauer und Genscher, an Adenauer wird er auch noch rankommen, das scheint sicher.
Dieter Bohlen und Stefan Raab, diese beiden Erzieher und Geschmacksbosse, arbeiten weiterhin daran, dass ein Ruck durch Deutschland geht: Jeder Romantiker will das Abenteuer und Fantastische, die Bewerber bei Dieter Bohlen und Stefan Raab sehnen sich nach Romantik, und sie kriegen ihre Chance zur Träumerei. In Zeiten des Hartz-IV-Realismus ist Bohlen und Raab dafür zu danken.