Dandy mit Babyspeck
IN SCHWARZEN LACKSCHUhen, Anzug und rundgeföhnter James-Dean-Tolle tänzelt John Newman auf der Bühne im Videoclip zu seiner ersten Solo-Single herum. Zwischen Mikrofonkabeln und Gitarrenverstärkern singt er sich mit seiner kraftvollen, leicht heiseren Soulstimme die Seele aus dem Leib: „I need to know now/Can you love me again“.
Die melodramatischen Zeilen bilden den Refrain von Newmans Northern-Soul-Monster „Love Me Again“, das in Großbritannien sofort nach der Veröffentlichung im Juli auf Platz eins der Single-Charts schnellte. Mitreißend ist die hüpfende, rasende Piano-Melodie. Die Morse-Code-artigen Gitarrenklänge und süßlichen Streicher-Sequenzen erinnern an „You Keep Me Hangin‘ On“ von den Supremes. Und während die Funk-Bläser heiter im Hintergrund schnurren, versteht man schnell, dass dieses Stück im Wesentlichen alle Elemente vereint, die ein Popsong heute braucht, um zum Hit zu werden: Er ist ansteckend tanzbar und ungemein gut produziert, klingt nach coolem Sixties-Sound und der eingängige, hymnenhafte Refrain gräbt sich verlässlich in jeden Gehörgang.
Gerade mal 23 Jahre alt ist John Newman. Gut gelaunt fläzt er sich auf einen Lederstuhl im Berliner Büro seiner Plattenfirma und erzählt von seinem Debütalbum „Tribute“. Unruhig rutscht er immer wieder hin und her -mal stützt er sich lässig auf seine mit protzigen, goldenen Ringen geschmückten Hände, mal wirbelt er wild gestikulierend mit den Armen. „Total verrückt“, findet er den großen Erfolg seiner Debütsingle. Dabei ist „Love Me Again“ gar nicht seine erste Nummer eins. Mit dem Londoner Drum’n’Bass-Kollektiv Rudimental landete er 2012 den UK-Dance-Hit des Jahres. „Feel The Love“ hielt sich elf Wochen in den Top Ten, millionenfach wurde das Musikvideo im Netz geklickt.
„Das war so unglaublich surreal damals“, sagt Newman. „Wenn man mit ein paar Freunden einen Song in einem kleinen Studio schreibt, dann erwartet man einfach nicht, dass ihn plötzlich Millionen von Leuten weltweit hören.“ Wenn man ihn so in schnellen, aufgeregten Sätzen erzählen hört von diesem Gefühl der Sprachlosigkeit, vom Gefühl des Übernacht-Erfolgs, dann ist er für einen kurzen Moment dieser junge Bursche aus der englischen Provinz mit den weichen Gesichtszügen und dem Rest Babyspeck -jemand, der nicht so recht zu der Rampensau aus dem Videoclip und den reifen, ausgeklügelten Songkompositionen passen will. „Ich habe immer gesagt, ich glaube erst an einen Hit, wenn es einer ist. Und als es so weit war, konnte ich es trotzdem nicht fassen“, erklärt Newman. Das ginge ihm bis heute so.
Aufgewachsen ist John Newman in der nordenglischen Kleinstadt Settle in North Yorkshire. „Meine Mutter hat viel Motown, Blues und Northern Soul gehört. Otis Redding und Marvin Gaye -von diesem Sound war ich als Kind umgeben.“ Mit 14 fing er an, Gitarre zu spielen; schon vorher produzierte er House-Beats und HipHop-Mashups. „Ich selbst nahm das alles aber noch nicht als ernstes Musikmachen wahr -ich war einfach ein Kleinstadt-Kid, das es cool fand, stundenlang kopfnickend vorm Computer zu hocken oder sich in Songs von Ben Harper und Ray LaMontagne hineinzudenken.“ Nach und nach verschraubten sich die verschiedenen Stränge seiner musikalischen Sozialisation ineinander: das Interesse am klassischen Songwriting, die Motown-Melodien der mütterlichen Vinylsammlung und die Dance-Musik, die er als Jugendlicher entdeckte.
Auch für „Tribute“ hat er alles selbst geschrieben und produziert – von den funky Bläsersequenzen und dem treibenden Drum-Rhythmus seiner zweiten Single „Cheating“ bis zum Rauschen der Streicher in der reduzierten Piano-Ballade „Out Of My Head“. Was Studioequipment und Aufnahmetechniken angeht, ist er ein regelrechter Nerd, der schon mal nächtelang Ebay nach den richtigen Gerätschaften durchstöbert. „Wenn du mir heute eine Motown-Platte vorspielst, kann ich mit ziemlicher Sicherheit sagen, in welchem Studio sie aufgenommen wurde und welches Drumset für die Aufnahme verwendet wurde.“
Dieser akribische Sinn für Details durchströmt Newmans Debütalbum ebenso wie seine Handfertigkeit bei einprägsamen Melodien. Mit seinem beharrlichen Fokus auf Rhythmus erinnert der Sound an Mark Ronsons „Versions“. In den Texten geht es um Liebeskummer, Schlaflosigkeit und tränenreiche Trennungen -klassisches Breakup-Material, umrankt von gekonnten Soul-, Funk-und Jazz-Referenzen. So geschmeidig fügt sich das alles zusammen, dass sich Newman kürzlich in einem Interview sogar dazu verstieg, die potenzielle Hit-Tauglichkeit seines Albums mit der von Adeles „19“ zu vergleichen. Der Ursprung seiner Musik liegt wohl irgendwo in der Mitte zwischen solchem Größenwahn und der Unsicherheit eines blassen Kleinstadtjungen.